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Pioniergeist am Mekong

Die Wirtschaft in Kambodscha kommt nach der Krise nur langsam wieder in Gang

  • Robert Luchs
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Wirtschaft in Kambodscha kommt nur langsam wieder in Gang, die Löhne sind niedrig. Schuld daran ist auch das traurige Erbe der Roten Khmer: Der Genozid, den Pol Pot an der eigenen Bevölkerung, an den Intellektuellen zu verantworten hat, führt dazu, dass eine ganze Generation auf dem Arbeitsmarkt fehlt. Eine Bestandsaufnahme.

Phnom Penh. Mit einer Entschuldigung begrüßt Kambodscha den Gast auf dem Flughafen Pochentong. Das Computersystem sei, sorry, noch nicht ausgereift; daher könne es zu Verzögerungen kommen, entnimmt der Besucher einem Hinweis gleich neben der Passkontrolle. Mit Ungelegenheiten muss der Reisende nunmehr seit Jahren rechnen – seit das Flughafengebäude in Betrieb ist.

Kambodschas Leidensweg aus Völkermord, Bürgerkrieg und terroristischen Attacken der Roten Khmer bis ins Ende der 90er Jahre hinein ist unfassbar beschwerlich. Und dennoch sind dem südostasiatischen Land Zeitsprünge gelungen, an die vor wenigen Jahren noch niemand zu glauben wagte. Die Roten Khmer hatten Kambodscha nahezu ausgelöscht, Pol Pots Mörderregime das Land verwüstet, die Bevölkerung zur Zwangsarbeit gezwungen und die Intellektuellen ausgerottet. 1,7 Millionen Menschen wurden Opfer des Genozids. So grenzt es an ein Wunder, dass heute in Geschäften und Restaurants die Handys klingeln, Internet-Cafés in Phnom Penh an jeder Straßenecke ihre Dienste anbieten und wissensdurstige Jugendliche Computerkurse besuchen.

Alltag mit Ungleichheiten

Geht es in diesem Tempo weiter, wird auch bald das Computersystem am Flughafen reibungslos funktionieren. Wäre der atemberaubende Verkehr in den Straßen der Hauptstadt ein verlässlicher Gradmesser für wirtschaftliches Wachstum, Kambodscha müsste boomen. Einkaufszentren wetteifern mit neuen Hotels, Restaurants mit mehrstöckigen Bürogebäuden. Das Geld aber bleibt nicht in der Millionenstadt, die Investitionen in Glas und Beton kommen aus Malaysia, aus Thailand, Singapur und vor allem aus China. Und dorthin fließen die Geldströme wieder zurück. Die Kambodschaner müssen sich mit unterbezahlten Dienstleistungen begnügen, mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von rund 500 Dollar.

Kun Vuthy stammt aus der Provinz Kompong Speu und arbeitet in der Textilfabrik Thai-Pore am Rande von Phnom Penh. Sie ist eine von fast 1000 jungen Frauen, die sechs Tage in der Woche das Material für Sweater, Damenwesten und Hemden zuschneiden, die überwiegend in die USA und nach Europa exportiert werden. Die 21-Jährige hat in der Nähe ein kleines Zimmer für acht Dollar im Monat gefunden. Sie verdient 55 Dollar, Überstunden werden extra bezahlt, so dass die junge Frau ihre sechsköpfige Familie auf dem Land mit über Wasser halten kann.

Roger Tan, Manager aus Singapur, hat 1994, ein Jahr nach den ersten demokratischen Wahlen, die Aufbruchstimmung genutzt und mit einigen hundert Arbeiterinnen die Produktion aufgenommen. Ging es in den ersten Jahren rasant nach oben, »so machen uns heute vor allem die Chinesen zu schaffen«, ist Tan besorgt. »Sie sind unser größter Wettbewerber. Da hat Kambodscha mit seinem Mangel an Rohstoffen keine Chance.« Auch andere für die Fertigung notwendige Produkte müssen für teures Geld eingeführt werden.

240 Textilfabriken umgeben Phnom Penh, erheblich weniger sind es in der Hafenstadt Sihanoukville. Hinzu kommen einige Schuhfabriken. Die meisten Betriebe werden von Ausländern geleitet. Außer aus China kommen sie aus Taiwan, Malaysia, Singapur. Und in jüngster Zeit immer häufiger aus Japan .»Es gibt nicht genügend kambodschanische Unternehmer, die das können«, sagt Van Sou Ieng vom Branchenverband GMAC. Dem Land fehlen die geschulten 40- und 50-Jährigen, die Pol Pots Mörderregime auslöschte. Auch in den Ministerien und in den Stadtverwaltungen fehlt es an Personal, das sachkundig beim Aufbau mittlerer Industrieunternehmen helfen könnte. Die Folge ist, dass die Investitionen nicht im Land bleiben, sondern als vervielfachte Gewinne in die Nachbarländer fließen.

Roger Tan nennt ein weiteres Problem: 1996 hätten die USA ihre Grenzen für Hemden, T-Shirts und Hosen aus Kambodscha geöffnet, »in den späteren Jahren aber hat uns der Wegfall des Quotensystems schwer getroffen.« Als unmittelbare Folge schließt der Chef von Thai-Pore erneut steigende Arbeitslosigkeit nicht aus, an der auch die einflussreichen Gewerkschaften wenig ändern könnten. Für Kun Vuthy wäre dies eine Katastrophe – und für ihre Familie in der Provinz erst recht.

Tourismus als zweites Standbein

»Kambodscha wird dadurch deutlich benachteiligt, da seine Kostenstruktur höher ist als etwa diejenige des Konkurrenten China«, heißt es bei den Analysten von Mekong Capital. Eine weitere Hypothek der kambodschanischen Wirtschaft besteht darin, dass sie mit dem Tourismus nur ein zweites Standbein hat. Dieses wächst zwar in den letzten Jahren erheblich – 2010 kamen rund zwei Millionen Besucher – und trägt in erheblichem Maße zum Staatshaushalt bei. Wo jedoch Expertise gefragt ist, haben wieder ausländische Investoren, wie aus Thailand, die Nase vorn.

Dabei ist es ein Glück für Kambodscha, dass die UNESCO mittlerweile nicht weniger als vier Stätten zum Weltkulturerbe erklärt hat. Nämlich außer der 800 Jahre alten Tempelstadt Angor Wat, die als eine Art achtes Weltwunder gilt, gehören der Preah-Vihear-Tempel im Norden des Landes dazu, ferner ein noch nicht näher definiertes Naturdenkmal in den Kardamom-Bergen in Westkambodscha sowie neuerdings auch der Zentralmarkt (Psar Thmei) in Phnom Penh, eine Art Wahrzeichen der Hauptstadt. Preah Vihear stand erst kürzlich im Mittelpunkt von Scharmützeln mit thailändischen Truppen.

Es ist eine der großen und für das Land teuren Widersprüche, dass Früchte und Gemüse aus Nachbarländern, wie vor allem Vietnam, gekauft werden – Produkte also, mit denen die Kambodschaner selbst Geld verdienen könnten. Kambodscha könnte sogar zehn Prozent Exportreis bei nur einer Ernte im Jahr erwirtschaften, doch ist die Verteilung so unzureichend, dass die Menschen in einigen Provinzen hungern müssen. Viele haben auch kein Geld, um Lebensmittel zu kaufen. Vietnam hingegen mit seinen vergleichbaren klimatischen Bedingungen erntet den Reis dreimal im Jahr.

Ein Experte der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Phnom Penh, ist verhalten optimistisch. »Die Wirtschaft erholt sich wieder, ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent wird in diesem Jahr erwartet.« Allerdings sei das die Hälfte von dem, was vor der Krise in dem südostasiatischen Land erwirtschaftet wurde.

Hindernisse für den Wirtschaftsboom

Mit dem Boom der so genannten asiatischen Tigerstaaten ist das nicht zu vergleichen. Allerdings geben die Zahlen ein verzerrtes Bild wieder, weil die kambodschanische Ausgangsposition viel schwächer war. Auch der deutsche Experte sieht zwar die starke Abhängigkeit von den Investitionen der Nachbarländer. Darin liege aber auch eine große Chance, »weil sich Kambodscha einem wachsenden Markt gegenübersieht, für den es produzieren könnte«.

Paul Thomas, Sprecher des Arbeitskreises der deutschen Wirtschaft in Phnom Penh, meint ebenfalls, Kambodscha sei »auf einem guten Weg, Terrain gutzumachen und in zehn Jahren einen annehmbaren Standard erreicht zu haben«. 2011 werde ein »absolutes Boomjahr«, meint Thomas. 2500 Firmengründungen habe es im vergangenen Jahr gegeben, davon 55 Prozent ausländische und der Rest kambodschanische Firmen. Allein Japan sei inzwischen mit 80 Unternehmen vertreten.

In Kambodscha gebe es für Unternehmer allerdings keine eingefahrenen Gleise wie in Singapur oder Hongkong. »Ein Investor, der hier Geld verdienen will, muss seine Hände auch mal in den Dreck stecken«, betont Thomas, der vor Jahren aus Singapur kommend inzwischen in Phnom Penh mehrere Firmen gegründet hat. Sein Fazit: »Hier ist noch echter Pioniergeist gefragt.«

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