Grabritter

Michael Spindelegger - Österreichs Außenminister wird ÖVP-Chef und Vizekanzler

  • Lesedauer: 2 Min.

Der unerwartet rasche, gesundheitlich bedingte Rücktritt ihres Vorsitzenden und Vizekanzlers Josef Pröll hat die Österreichische Volkspartei (ÖVP) in personelle Turbulenzen gestürzt. Nach einer unruhigen Nacht stand der Nachfolger am Donnerstag fest: Michael Spindelegger wird in die Fußstapfen des 42-jährigen Pröll treten. Er übernimmt die Partei in denkbar schlechtem, von Korruptions- und Lobby-Affären geprägtem Zustand. Und Spindelegger signalisiert nicht jene Aufbruchstimmung, die die ÖVP bräuchte, um die allseits geforderte Erneuerung umsetzen zu können. Seit zwei Jahrzehnten ist er Teil des konservativ-liberalen Politestablishments in Österreich.

Der 1959 in Mödling bei Wien Geborene durchlief eine ÖVP-Musterkarriere. Als studierter Jurist nahm er 1993 ein Nationalratsmandat an, das er relativ unauffällig verwaltete. Im Dezember 2008 übernahm Spindelegger das Außenministerium, dem er auch in Zukunft vorstehen wird. Wirklich auffällig geworden ist er in dieser Funktion bisher ebenfalls nicht. Im EU-Rat sieht man ihn meist Seite an Seite mit dem deutschen Amtskollegen. Unter Journalisten gilt er als langweilig und farblos. Dennoch sollte man den Mann nicht unterschätzen. Innerparteilich ist der Niederösterreicher stark im Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbund, einem der drei Bünde der ÖVP, verankert und steht diesem auch als Obmann vor. Mit seiner Wahl zum Parteichef hat er sich gegen Konkurrenten aus dem Wirtschaftsbund durchsetzen können. Ideologisch-kulturell ist Spindelegger fest im katholischen Umfeld verankert.

Besonders ragen hier seine Mitgliedschaften bei der katholisch-akademischen Verbindung »Norica« sowie beim papstnahen »Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem« heraus, dessen Mitgliederliste sich wie das »Wer ist Wer« des europäischen Katholizismus liest. Die Wurzeln des Ordens reichen in die Zeit der Kreuzzüge zurück; die Nachfahren der besonders »frommen« Ritter halten bis heute die imperiale Tradition des Heiligen Stuhles hoch. Verheiratet ist Michael Spindelegger mit einer Juristin, einst Kabinettschefin des Europäischen Gerichtspräsidenten. Mit seiner Frau Margit hat der neue Wiener Vizekanzler zwei schulpflichtige Kinder.

Hannes Hofbauer, Wien

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