nd-aktuell.de / 20.04.2011 / Politik / Seite 7

Damaskus: »Chaos und Unordnung«

Syrische Regierung sieht »radikale Salafisten« hinter den Protesten im Land

Karin Leukefeld

In der syrischen Stadt Homs versammelten sich am Montag Tausende auf einem zentralen Platz zu einem Sitzstreik, der am frühen Dienstagmorgen von der Polizei aufgelöst wurde.

Nach eigenen Angaben setzte die Polizei Tränengas ein, Aktivisten berichteten, es sei auch scharf geschossen worden. Teilnehmer der Protestaktion hatten zuvor westlichen Medien telefonisch mitgeteilt, sie wollten so lange bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt seien. So soll der Ausnahmezustand aufgehoben werden und Präsident Baschar al-Assad soll abtreten. Unterdessen beschloss die Regierung, den seit 1963 geltenden Ausnahmezustand aufzuheben.

Unterschiedlichen Angaben zufolge sollen am Wochenende zwischen 12 und 30 Personen getötet worden sein. Während Aktivisten sagen, die tödlichen Schüsse seien von Sicherheitskräften gefeuert worden, spricht die Regierung von bewaffneten Banden. Das Innenministerium erklärte, der Verlauf der Ereignisse (…) zeige, »dass es sich um einen bewaffneten Aufstand handelt, der von einer Gruppe radikaler Salafisten« geschürt werde, »insbesondere in Homs und Banias«. Ziel ihrer Aktionen sei es, »Chaos und Unordnung« zu schaffen, der Staat gehe mit aller Härte gegen diese Gruppen vor. Unter den Toten waren laut offiziellen Angaben auch drei Offiziere.

Wie sehr es sich bei den Protesten auch um einen Medienkrieg handelt, zeigen Meldungen, die über Facebook und die regierungskritische Webseite »Free Syria« verbreitet wurden. Danach sollen die Offiziere von der Armee »wegen Befehlsverweigerung« ermordet worden sein.

Außenminister Walid al-Mouallem traf erneut mit ausländischen Botschaftern zusammen und sagte, der Reformprozess sei eine nationale Notwendigkeit und gehe weiter. Er verwies auf »großen öffentlichen Druck«, Sicherheit und Ordnung wieder herzustellen, er hoffe, dass der Staat nicht zu solchen Maßnahmen greifen müsse. »Einige arabische Satellitensender« kritisierte er für ihre unausgewogene Berichterstattung.

Die »Washington Post« berichtete, dass die US-Regierung seit Jahren an einer Destabilisierung Syriens gearbeitet habe. Aus internen Botschaftskorrespondenzen, die der Zeitung von Wikileaks zugespielt worden waren, geht hervor, dass das US-Außenministerium mindestens sechs Millionen Dollar zur Finanzierung oppositioneller Gruppen und des regierungskritischen arabischen Satellitensenders Barada-TV ausgegeben hat, der aus London sendet. Weitere vertrauliche US-Depeschen berichten, dass der im Januar 2011 zurückgetretene libanesische Ministerpräsident Saad Hariri den USA offenbar Vorschläge für einen Machtwechsel in Syrien gemacht hat. Wie die Beiruter Zeitung »Al-Akhbar« berichtete, soll Hariri die syrischen Muslimbrüder als »moderat« eingestuft haben. Als Führer einer Übergangsregierung in Damaskus habe er den im Pariser Exil lebenden ehemaligen Vizepräsidenten Abdelhalim Khaddam vorgeschlagen. Khaddam hatte seinerzeit Assad beschuldigt, persönlich die Ermordung von Hariris Vater, Expremier Rafik Hariri, angeordnet zu haben. Syrische Quellen weisen darauf hin, dass Khaddam 2003 und 2004 maßgeblich für die Niederschlagung der Reformbewegung des »Damaszener Frühlings« verantwortlich war.