nd-aktuell.de / 14.05.2011 / Brandenburg
So radikal ändern sich die Zeiten
Vor 30 Jahren zogen die ersten Grünen Parlamentarier ins Abgeordnetenhaus – und blieben dort
Sonja Vogel
West-Berlin war in den 70er Jahre ein Sammelbecken für Alternative, Ökos 
und Hippies. Es gab Kinderläden, Bürgerinitiativen und radikale 
politische Gruppen. Am 5. Oktober 1978 wurde in diesem Umfeld die 
Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL), der Vorläufer 
der Grünen gegründet. Rund 3000 Menschen fanden sich dafür in »Huxleys 
Neue Welt« zusammen. Wenige Monate trat die AL zur Abgeordnetenhauswahl 
an. Die große parlamentarische Bühne wurde erobert: 1981 war die AL mit 
7,2 Prozent und neun Parlamentariern ins Rathaus Schöneberg eingezogen. 
Damit war der Grüne Vorläufer zur drittstärksten Partei in Berlin 
geworden. 1989 trat die AL in eine Regierungskolaition mit der SPD unter 
Walter Momper ein – und machten erste Zugeständnisse. Dann verließ sie 
die Koalition.
Für die einen bedeutete dies eine Erfolgsgeschichte, für die anderen 
war es das Ende einer politischen Bewegung. Schließlich hatte die AL 
zuvor eine Regierungsbeteiligung kategorisch abgelehnt. »Dieser 
Regierungseintritt war der Genickbruch der Partei-Linken«, resümiert 
Thomas Ebermann, der die Grünen auf Bundesebene mitbegründete. Er kehrte 
der Partei schon 1990 den Rücken. Wenn die linken Aktivisten von Damals 
den Grünen heute politischen Verrat vorwerfen, winkt Ebermann ab. »Die 
Wähler wollten es ja so«, sagt er. »Mit uns wäre der Kahn eben anders 
untergegangen.«
In Berlin regierten die Grünen nun mit Wählergunst. Darum feierten die 
Berliner Grünen gestern 30 Jahre Parlamentsgeschichte – ganz seriös im 
Festsaal des Abgeordnetenhauses. Zur Feier des Tages wird ein Relikt aus 
vergangenen Zeiten ausgestellt: »ein selbst gestrickter Pullover mit 
Anti-Atomkraft-Emblem«, wie es in der Einladung der Grünen angekündigt 
wird. An die Widerstandskultur, die K-Gruppen und linksradikalen 
Kleinverbände, aus denen die Grünen hervorgegangen sind, erinnert nichts 
mehr.
In den Zeitungen liest man zur selben Zeit Anekdoten über Anekdoten, 
die 30 Jahre Grüne Parlamentsgeschichte auf die ersten fünf 
herunterbrechen: Wollpullis, Turnschuhe, Beschimpfungen und Proteste im 
Parlament, Ausfälle konservativer Abgeordneter. Davon, dass damals auch 
Politik gemacht wurde, die über die Aufgaben der staatstragender 
Berufspolitik hinausging, redet hingegen kaum jemand. Noch 1983 wurden 
die Berliner Grünen Benedikt Härlin und Michael Klöckner wegen ihrer 
journalistischer Arbeit für die Zeitschrift Radikal zu zweieinhalb 
Jahren Gefängnis verurteilt. Die AL war von dem Urteilsspruch empört und 
ließ die beiden für die Europa-Wahl aufstellen. Sie zogen ins Parlament 
ein, genossen Immunität und die Haftbefehle wurden aufgehoben. Klöckner 
ist heute verheiratet mit Marianne Rosenberg, Härlin blieb bei den 
Grünen. So ändern sich die Zeiten.
Viele Mitglieder der ersten Stunde, wie Michael Wendt, der die 
Mitgliedsnummer 001 trug, sind verstorben. Andere Protagonisten 
verbitten sich die Nachfragen, die sich zu jedem Grünen Jubiläum 
wiederholen. Viele haben die Partei längst verlassen. Am gefragtesten 
ist, wer am kürzesten bei den Grünen ausgehalten hat und darum anrüchig 
geblieben ist. »Ich möchte mich dazu nicht mehr äußern«, sagt ein 
Gründungsmitglied gegenüber ND. »Was soll ich dazu noch sagen?«, ein 
anderes.
Und was gibt es noch zu sagen? Die Ökopartei erreicht auf Bundesebene 
Spitzenwerte, auch in der Hauptstadt liegt sie mit der SPD fast 
gleichauf. Doch Thomas Ebermann bezweifelt, dass Spitzenkandidatin 
Renate Künast so seriös sei, wie Baden-Würtembergs Ministerpräsident. 
»Kretschman war beim Papst, Künast nicht.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/197569.so-radikal-aendern-sich-die-zeiten.html