Ein Querkopf und durchaus erfolgreich

Bernt Ture von zur Mühlen schrieb über Heinrich Hoffmann von Fallersleben

  • Kai Agthe
  • Lesedauer: 4 Min.
Abbildung: Archiv
Abbildung: Archiv

Mit dem ICE von Berlin kommend, passiert man kurz vor Braunschweig den seit 1972 zu Wolfsburg gehörigen Ort Fallersleben. Gelegenheit, sich an Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) zu erinnern. Der war nicht von Adel, sondern nur »von», also »aus« Fallersleben. Um sich von anderen Hoffmanns zu unterscheiden, wählte er diesen Zusatz. Obwohl er Verfasser des »Lieds der Deutschen« ist, das, so der Autor dieser Biografie, wegen seines »parteiübergreifenden Bekanntheitsgrades« 1922 durch den ersten sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert zur deutschen Nationalhymne geadelt wurde, hat sich die Literaturwissenschaft lange kaum mit ihm beschäftigt. Erst seit seinem 200. Geburtstag gibt es größere Anstrengungen, sein Leben und Werk zu erforschen. Nun hat der Literatur- und Verlagshistoriker Bernt Ture von zur Mühlen die erste Biografhie vorgelegt, die diese facettenreiche Persönlichkeit ebenso umfassend wie detailliert vorstellt.

Heinrich Hoffmann von Fallersleben war nicht zu übersehen. Das zunächst im buchstäblichen Sinne, da er ein Gardemaß von stattlichen 1,96 Meter hatte. Charakteristisch für ihn war eine ausgeprägte Hyperaktivität. Da er nicht längere Zeit still sitzen konnte, floh er als Student aus Vorlesungen und mied Theater und Museen. (Heute würde man ihm Ritalin verschreiben.) Aus einfachen Verhältnissen stammend, später aber vor allem in Kreisen von Gelehrten und des Adels verkehrend, fehlten ihm, dem groben niedersächsischen Klotz, die entsprechenden Umgangsformen. Von vielen Zeitgenossen wird er als arrogant, rechthaberisch, herablassend, eingebildet und borniert beschrieben. Selten abwägend, war er mit kränkenden Kommentaren schnell zur Stelle. »Wie eine Kette von Abstürzen«, so Bernt Ture, »durchziehen die sprachlichen Entgleisungen seinen beruflichen Werdegang.«

So ruhelos er von Natur aus war, so umtriebig war er als Wissenschaftler. Nach seinen Studien in Göttingen und Bonn beschäftigte sich Hoffmann, dessen »Mentor und Wegweiser« seit 1818 Jacob Grimm war, mit ältester deutscher und holländischer Literatur. Hier betrat er wissenschaftliches Neuland, was ihm auch von der Universität Leiden bescheinigt wurde: Die Alma mater promovierte ihn aufgrund seiner Studien zur altholländischen Literatur, die ein Meilenstein waren, 1823 zum Magister der Philosophie und Doktor der Literaturwissenschaft. Hoffmanns Entdeckerehrgeiz – der ihn fast jede relevante Bibliothek im deutschsprachigen Raum aufsuchen ließ – und Publikationseifer gingen freilich einher mit einer bereits von Jacob Grimm erkannten Flüchtigkeit in seinen wissenschaftlichen Arbeiten und Editionen.

In Breslau, wo er fast zwanzig Jahre an der Universität und als Bibliothekar tätig, aber nicht wirklich zufrieden war, trat Heinrich Hoffmann auch in die deutsche Literaturgeschichte ein: 1840 erschien der Gedichtband »Unpolitische Lieder«, die, so der Biograf, poetisch eher Mittelmaß sind, aber ein großer kommerzieller Erfolg für ihren Verfasser waren und zwei Jahre später zu seiner Amtsenthebung als Breslauer Professor führten. Der politische Dichter Hoffmann von Fallersleben wurde zum Dissidenten und als solcher eine Berühmtheit. Mit dem Weggang aus Breslau begann ein unstetes Leben, das Hoffmann von Fallersleben in Mecklenburg, Weimar und am Rhein eine Heimat suchen, aber nicht wirklich finden ließ. Seinen Lebensabend verbrachte er – dies eine Parallele zu Giacomo Casanova auf Schloss Dux – als Bibliothekar des Herzogs von Ratibor im rheinischen Corvey. Dort fand der Rastlose auch seine letzte Ruhe.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Hoffmann von Fallersleben zahlreichen Gedichte schrieb, die durch ihre Vertonung als Volkslieder kanonisch geworden sind: »Ein Männlein steht im Walde«, »Der Kuckuck und der Esel« und »Morgen kommt der Weihnachtsmann« stammen aus seiner Feder. Akribisch hat Hoffmann diesbezüglich Buch geführt: 1506 Vertonungen von 519 seiner Gedichte konnte er zu Lebzeiten zählen, darunter u.a. von Johannes Brahms, Franz Liszt und Albert Lortzing.

Schön wäre es gewesen, wenn auch kurz die Begegnung Heinrich Hoffmanns mit dem in den dreißiger Jahren als politischen Dichter bekannt gewordenen Ernst Ortlepp (1800-1864) erwähnt worden wäre. Diesen traf Hoffmann, wie er in den Memoiren »Mein Leben« (1868) berichtet, im Jahr 1858 in Weimar. In seinen Erinnerungen kolportiert er die Worte Ortlepps, der zu dieser Zeit die Kinder einer Hochseilartisten-Familie unterrichtete, demnach »seine jetzige Lage der Art (sei), dass sie ihn zu keiner literarischen Tätigkeit kommen ließe«. Denn Hoffmann hatte ihn aufgefordert, er, Ortlepp, solle seine Autobiographie schreiben. Und zuletzt bekennt Hoffmann, der wusste, dass Ortlepp 1864 in einem Wassergraben zwischen Naumburg und Schulpforta zu Tode gekommen war: »Traurig, dass ein so bedeutendes Talent so untergehen konnte!« Hoffmann von Fallersleben hatte da deutlich mehr Glück. Was ihm als Wissenschaftler nicht gelang, das erreichte er als freier Autor: Da er seine Bücher und Einzelblattdrucke zu großen Teilen selbst vertrieb, konnte von der Literatur sehr gut leben. So groß Heinrich Hoffmann von Fallersleben von Statur war, so bedeutend ist Bernt Ture von zur Mühlens Biografie des patriotisch-demokratischen Dichters, der auch ein Querkopf war.

Bernt Ture von zur Mühlen: Hoffmann von Fallersleben. Biographie. Wallstein Verlag. 405 S., geb., 24,90 €.

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