»Kanzleien dürfen nicht zum Souffleur der Politik werden«

Ein Kongress in Berlin thematisierte den Einflussverlust der Parlamente

»Dankt der Staat ab?« – dieser Frage widmete sich am Dienstag ein hochkarätig besetzter Kongress. Viele Teilnehmer warnten vor einer schleichenden Aushöhlung demokratischer Institutionen durch Lobbyisten.

Es galt als erster Fehltritt des einstigen Shootingstars Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU): In seiner Funktion als Wirtschaftsminister ließ er im August 2009 ein Gesetz zur Rettung der Banken von der Großkanzlei Linklaters schreiben. Als er den Entwurf mit dem Logo der Kanzlei an Kabinettskollegen verschickte, war die Empörung groß. Dass die Ministerien Hilfe von externen Beratern entgegennehmen, gehört zum Alltag der politischen Arbeit; wenn jedoch komplette Gesetzesvorlagen extern erarbeitet werden, übersteige dies das Maß des Auslagerns, warf ihm der damalige sozialdemokratische Koalitionspartner vor.

Für Edda Müller von Transparency International ist eine Vergabe der kompletten Gesetzesvorbereitung Zeichen eines schleichenden Gestaltungsverlustes der Ministerien. »Dankt der Staat ab – wo bleibt das Primat der Politik?«, lautete der Titel einer Konferenz in Berlin, die Transparency International gemeinsam mit dem Deutschen Beamtenbund (dbb) ausrichtete. Anhand der titelgebenden Frage thematisierten die Redner das sinkende Ansehen auch der Parlamente. »Es sollte uns beschäftigen, wenn Bürger immer häufiger gegen legitime politische Entscheidungen aufbegehren«, sagte Frank Stöhr, zweiter Vorsitzender des dbb, bei der Eröffnung der Veranstaltung.

Michael Kloepfer, Staatsrechtler an der Humboldt-Universität zu Berlin, sieht keinen Grund, »in Hysterie zu verfallen«. Er betrachtet die Kanzleien als »politischen Schlüsseldienst«, der kompetent und schnell hilft. Dennoch erkennt auch Kloepfer in der Komplettvergabe der Gesetzesausarbeitung einen schleichenden Gestaltungsverlust der Politik. Die aktuelle Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) warnte auf dem Kongress: »Kanzleien dürfen nicht zum Souffleur der Politik werden.« Das Primat der Gesetzgebung habe die Politik.

Auf einen zunehmenden Beratungsbedarf der Ministerien durch Fachkräfte verwies allerdings Renate Mayntz. Mit Blick auf den Beginn der Finanzkrise 2007 konstatierte die Sozialwissenschaftlerin ein defizitäres Wissen der Politik. »Es gab einen Glauben an eine Selbstregulierung der Märkte.« Nur wenige Wissenschaftler hätten hierin die enormen Risiken erkannt. »Sie waren jedoch Außenseiter«, sagte Mayntz. Sie hat zudem beobachtet, dass sich politische Akteure häufig dann der Meinung einer Mehrheit anschlössen, wenn sie selbst keine Experten seien.

Vor einer schleichenden Aushöhlung der Parlamente warnte auch Hans-Jürgen Papier. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat hierbei weniger die Kanzleien im Blick, sondern Lobbyisten, die ihre Interessen in den Parlamenten durchsetzen. Bei der mittlerweile hinfälligen Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken habe man sehen können, wie Energiekonzerne einen Hebel ansetzten, um ihre Interessen im Parlament zu wahren. Aber es gäbe immer auch Interessen, denen ein starker Fürsprecher fehle, gab der Jurist zu bedenken. Papier sieht das Parlament in der Tradition eines sozialen Rechtsstaates. Es solle für das Allgemeinwohl sorgen, anstelle lediglich Partikularinteressen zu dienen.

Leutheusser-Schnarrenberger insistierte, dass beschlossene Gesetze von der Gesellschaft akzeptiert werden sollten. Bürger müssten schon frühzeitig in die Meinungsbildung einbezogen werden; eine Diskussion müsse öffentlich erfolgen. Darin herrschte Übereinstimmung aller Redner auf der Konferenz. »Der Wutbürger wird sich nur besänftigen lassen, wenn Vertrauen und Transparenz in der Politik wieder hergestellt werden«, brachte es Frank Stöhr vom dbb auf den Punkt. Foto: dpa

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