nd-aktuell.de / 04.06.2011 / Kommentare / Seite 1

Zwischen Ethik und Monethik

Ellis Huber
Der 62-jährige Arzt, Gesundheitspolitiker und Präventologe ist Vorstand der SECURVITA Krankenkasse.
Der 62-jährige Arzt, Gesundheitspolitiker und Präventologe ist Vorstand der SECURVITA Krankenkasse.

Wir Ärztinnen und Ärzte haben einen neuen Präsidenten. Frank Ulrich Montgomery sagt, dass er die Bundesärztekammer als »ethisch-moralische Instanz« stärken, mit dieser Autorität gesundheitspolitische Entscheidungen beeinflussen, das Gesundheitssystem gestalten will. Für diese Herausforderung hat er alle Unterstützung verdient. Die Berufsordnung der Bundesärztekammer setzt ein klares ethisches Ziel: »Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und der gesamten Bevölkerung«. Ärzte sind also dem sozialen Wohl verpflichtet und die Ärzteschaft muss sich um ein gesundes Gemeinwesen ebenso sorgen wie um ihr Einkommen. So einfach ist das nicht.

Ängste, Depressionen oder wahnhafte Psychosen nehmen in der Bevölkerung zu und gehören inzwischen zu den häufigsten und teuersten Leiden. Rückenschmerzen, hoher Blutdruck oder Diabetes sind auch Folgen sozialer Verwerfungen und die gesellschaftliche Verlorenheit junger Menschen ist mit Ritalin oder anderen Tabletten nicht heilbar. Wenn Mitarbeiter erkranken, ist der Betrieb der Patient. Schlechte Führung oder rücksichtslose Ausbeutung machen krank, Einsamkeit ebenso.

Die wissenschaftliche Erkenntnis der modernen Medizin ist eindeutig: Solidarität macht gesund. Menschen, die sich selbst als kompetent und bedeutsam erfahren, gesellschaftliche Resonanz finden und bei sozialen Entscheidungen mitwirken können, sind weniger krank. Umgekehrt steigen Erkrankungshäufigkeit und Sterblichkeit deutlich an, wenn das gesellschaftliche Bindegewebe unter Spannung steht und soziale Geborgenheit fehlt. Mitmenschlichkeit und solidarische Gemeinschaft sind Gesundheitskräfte, die unsere Lebenserwartung verlängern und Krankheitsereignisse minimieren.

Geld heilt nicht. Die Heilsversprechen mancher Pharmaprodukte gleichen in ihrem Wert den Zertifikaten der Finanzwirtschaft, die Renditeziele der Pharmakonzerne sind so unverfroren wie die der Investmentbanken. Die Bundesärztekammer gerät daher in Konflikt mit der kapitalistischen Gesundheitswirtschaft, wenn sie ihre moralische Autorität wirklich durchsetzen will. Das Gesundheitswesen ist durch Kapitalinteressen infiziert und einzelne Ärzte spekulieren eifrig mit. Noch mehr Kassenpleiten drohen, Versicherte fühlen sich im Stich gelassen, der Ärztemangel in der Uckermark oder auf der schwäbischen Alb ängstigt dort lebende Menschen. Die EHEC-Bakterien produzieren Krankheitsfälle bei denen menschliche Ärzte und aufopferungsvolle Pflegekräfte mit medizinischer Hilflosigkeit ringen. Auch Infektionskrankheiten und Seuchen sind soziale Ereignisse.

Der Zusammenbruch der City BKK hat eine geldgesteuerte Kassenmoral erkennen lassen. Montgomery findet dazu starke Worte. Im Wettbewerb würden die Kassenmanager für gesunde Beitragszahler und gegen kranke Menschen agieren. In der Tat: Die politisch gesetzten Regeln des Gesundheitsfonds entfachen einen gnadenlosen Entsolidarisierungsprozess. Wir stecken mitten drin im Schlamassel. Alle Akteure haben daran ihren Anteil. Preiswerte Gesundheit für alle Menschen braucht kluge Politik, mutige Krankenkassen und verantwortungsbewusste Ärzte. Gegenseitige Schuldzuweisungen lösen die Probleme nicht. Jetzt ist gemeinsames Handeln in sozialer Verantwortung gefragt. Die Bundesärztekammer kann beweisen, dass sie in der Krise weiser und menschlicher agiert als die Krankenkassen.