Flucht von der Insel

Glucks »Telemaco«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 2 Min.

Christoph Willibald Gluck (1714–1787) gilt als großer Opernreformer. Auf den Pfaden seiner Neuerungen schaffte die Gattung den Schritt von Händels Seria-Meisterschaft hin zu Mozart und allem, was folgte. Das Repertoire würdigt das – wenn auch ohne Übereifer – mit der Dauerpräsenz von Glucks »Orpheus und Eurydike«. Auch seine beiden Opern zu Iphigenies Schicksal finden sich zuweilen. Und wenn man es richtig anstellt, kann man (wie an der Komischen Oper Berlin) sogar aus seiner Zauberoper »Armida« eine tolle Show machen.

Für frühsommerliche Festspiele, etwa jenes im wunderbaren Schwetzinger Schlosstheater, ist eine unbekannte Gluck-Oper wie sein »Telemaco« aus dem Jahre 1765 genau das Richtige. Noch dazu, wenn man sie so flott und schlüssig in Szene setzt, wie es jetzt Tobias Kratzer (31) gemacht hat. Die Oper konzentriert sich auf den letzten Teil der ziemlich späten Heimkehr von Odysseus zu Frau Penelope und Sohn Telemach und handelt von der spektakulären Flucht von Circes Zauberinsel. Telemach holt seinen Papa nämlich (hier in der Vorkriegsausstattung des aufkommenden Flugwesens) dort ab und findet gleich noch eine Braut für sich. Diesem beziehungstechnischen Plus steht das Minus der allzu lang (zehn Jahre Trojanischer Krieg plus sieben Jahre Rückweg – und das bei Schlange stehenden Bewerbern!) allein gebliebenen Ehefrau gegenüber.

Daraus schlägt Kratzer szenische Funken, indem er die in der Oper gar nicht vorkommende Penelope als zweite Natur Circes szenisch auftreten lässt – was in der Ausstattung von Rainer Sellmaier durch ein paar Kostüm- und Frisurhandgriffe und den Einbruch des Zauberwaldes in den Salon mit den wartenden und dauerstrickenden verlassenen Kriegerfrauen fabelhaft gelingt. Und was von der das solide Ensemble überragenden Agneta Eichenholz als Circe/Penelope mühelos stimmlich und darstellerisch bewältigt wird.

Musikalisch sorgen die junge estnische Dirigentin Anu Tali und das Freiburger Barockorchester für einen sinnlich barocken dramatischen Sound. Aus dem übrigen Ensemble ragt neben Tomasz Zagórskis Ulisse vor allem der Counter David DQ Lee in der Titelpartie in dieser mit Basel und Nürnberg koproduzierten Gluck-Ausgrabung heraus.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal