nd-aktuell.de / 29.06.2011 / Ratgeber / Seite 4

Abwägung der Interessen der Mietparteien

Fristlose Kündigung aus »wichtigem Grund«

Eine städtische Wohnungsbaugesellschaft kündigte einer 77-jährigen Mieterin, die seit 1980 in dem Haus wohnte, fristlos und klagte auf Räumung der Wohnung. Grund: Die alte Mieterin verursachte insbesondere zur Nachtzeit ruhestörenden Lärm, indem sie auf dem Boden herumtrampelte und mit Gegenständen gegen Heizrohre und Heizkörper schlug.
Das ungewöhnliche Verhalten der Mieterin wurde durch eine schwere psychische Erkrankung ausgelöst. Nach einem vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten leidet die Frau unter Verfolgungswahn. Sie hört ständig Stimmen und versucht, sich der vermeintlichen Angriffe durch den geschilderten Lärm zu erwehren.

Wegen der Erkrankung ist für die Beklagte eine Betreuerin bestellt worden. Nach mehrfacher erfolgloser Abmahnung hat die Wohnungsbaugesellschaft den Mietvertrag wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens fristlos gekündigt. Doch die Mieterin weigerte sich, die Wohnung zu räumen.

Wie ist die Rechtslage in so einem Streitfall, in dem es um die wichtigen Gründe beider Mietparteien und auch anderer Mieter des Hauses geht? Das Bürgerliche Gesetzbuch besagt im § 543 Abs. 1 Satz 1, dass jede Partei das Mietverhältnis aus »wichtigem Grund« fristlos kündigen könne. So ein wichtiger Grund liege vor, wenn dem, der fristlos kündigt, unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist (oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses) nicht zugemutet werden könne.

Zur Klärung dieser Frage sollte das Gutachten eines Berufungsgerichts beitragen. Darin wurde der Gesichtspunkt des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz) und das Rechtsstaatsprinzip, aus Sicht der Mieterin berücksichtigt. Das Gericht sah keine rechtlichen Einwände gegen eine solche Abwägung der Interessen der Mieterin und des Vermieters.

Als der Streit um die fristlose Kündigung nun vor den Bundesgerichtshof kam, stellte dieser fest, dass die Interessenabwägung in erster Linie dem sogenannten Tatrichter zukomme. Das ist der Richter, der bei einem Rechtsstreit die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls genau kennt und der nicht allein nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen urteilt (BGB vom 8. Dezember 2004, Az. VIII ZR 218/03).Urteile des Tatrichters können durch das Revisionsgericht zwar nachgeprüft werden, doch es kann nur feststellen, ob (wie hier) die fristlose Kündigung rechtsfehlerfrei ist und ob alle relevanten Gesichtspunkte vom Tatrichter berücksichtigt worden sind.

So wurde der Streitfall an das Landgericht zur Entscheidung zurückgewiesen. Dort hatte der Vermieter Revision einlegt. Bei seiner Entscheidung stellte das Gericht fest: Bei der Mieterin sei schon beim Erlass eines Räumungsurteils, also nicht erst bei dessen Vollstreckung, Suizidgefahr oder völlige Apathie mit Verweigerung der Nahrungsaufnahme zu befürchten. Deshalb wurde den Belangen der beklagten Mieterin der Vorrang eingeräumt und die Revision zurückgewiesen.

Ein interessantes Urteil zum Problem des »wichtigen Grundes“. Zumeist geht es aus diesem Anlass, um die Interessen des Vermieters, so auch im § 543, Abs. 2 BGB.

Der Fall wurde von der Berliner MieterGemeinschaft im Internet vorgestellt.