nd-aktuell.de / 02.07.2011 / Kommentare / Seite 27

Assistenz bei Sterbewilligkeit

Gerald Wolf
Prof. Dr. Gerald Wolf, 1943 geboren, war als Hirnforscher bis 2008 Direktor des Instituts für Medizinische Neurobiologie an der Universität in Magdeburg. Er ist Mitglied des Kuratoriums des Humanistischen Verbandes Deutschland.
Prof. Dr. Gerald Wolf, 1943 geboren, war als Hirnforscher bis 2008 Direktor des Instituts für Medizinische Neurobiologie an der Universität in Magdeburg. Er ist Mitglied des Kuratoriums des Humanistischen Verbandes Deutschland.

Jahr für Jahr sterben in Deutschland achthunderttausend (800 000!) Menschen. Ein beinhartes Naturgesetz hat jeden von uns zum Tode verurteilt, unabhängig davon, welchen Verlauf das bisherige Leben genommen hat und noch nehmen wird – trivial, gewiss, aber nachdenkenswert. In der Öffentlichkeit wird vom Tod, wenn überhaupt, nur am Rande Notiz genommen, es sei denn, er ist spektakulär. Mord und Totschlag sind interessant, auch schreckliche Unfälle oder der Tod bedeutender Persönlichkeiten. Der Vorgang des Sterbens aber – das Dramatischste, was einem Menschen jemals widerfahren kann – wird von unserer Gesellschaft weitgehend tabuiert: Das Wie und die mit dem Sterben verbundenen Ängste, die letzten Hoffnungen und Wünsche gehören nun mal nicht in die Öffentlichkeit. Im Allgemeinen wird man damit auch die Angehörigen verschonen wollen. Insgeheim natürlich hat sich jeder schon die Frage gestellt, wie er dereinst sterben will und wird.

»Friedlich einzuschlafen« ist wohl das Beste, was sich ein dem Tod Geweihter wünschen mag, sobald er seine Situation zu akzeptieren gelernt hat. Er weiß, es gibt keine Aussicht auf Heilung, das Sterben ist unausweichlich. Nicht etwa »Therapieabbruch« oder »austherapiert zu sein« bedeutet das, sondern das Therapie-Ziel wird sich ändern. Zur Linderung der Symptome und des Leidens Todgeweihter stehen ausreichend palliativmedizinische Konzepte zur Verfügung, auch entlastende Maßnahmen psychologischer, sozialer und seelsorgerischer Art. In Deutschland gibt es hierfür ein Netz von Angeboten, das in den letzten Jahren ständig erweitert worden ist. Die moderne Palliativmedizin hat dem Tod die Grausamkeit genommen, und nicht zuletzt ist der Wert einer Gesellschaft an ihrem Beistand für Sterbende und deren Angehörige zu bemessen.

Was aber, wenn Sterbewillige Hilfen dieser Art ablehnen und sich einen vorzeitigen Tod herbeiwünschen? Die Motive können unterschiedlich sein und mögen durchaus nicht nur für den verhältnismäßig seltenen Fall geltend gemacht werden, dass dem Leiden mit palliativen Maßnahmen nicht hinreichend beizukommen ist. Oft genug wird ein frühzeitiger Suizid aus der Furcht heraus begangen, dass es für den Weg in den selbstbestimmten Tod einmal zu spät sein könnte. Die Selbsttötungsrate steigt aus diesem Grunde im Alter stark an. Mitunter gehen die Sterbewilligen in ihrer Verzweiflung Wege, die Grausamkeit gegen sich selbst bedeuten. Misslingt der Suizid und kommt es zu Folgeschäden, bedeuten diese für das Weiterleben oft zusätzliche Qualen. Mitunter wird ein Ausweg darin gesucht, fragwürdigen und oft genug kommerzialisierten Sterbehilfe-Offerten des Auslands zu folgen. Zu diesen und weiteren Problemen hat der Internist Michael de Ridder in seinem Buch »Wie wollen wir sterben?« eindrucksvolle Beispiele vorgestellt.

Nach Auffassung des Humanistischen Verbandes Deutschland (Positionspapier vom 28. Mai 2011) darf aussichtslos kranken Patienten bei Suizidwillen ärztliche Assistenz in wohlbegründeten Ausnahmefällen nicht versagt werden. Unbedingte Voraussetzung ist, dass der Sterbewunsch trotz umfassender Aufklärung über die gegebenen palliativmedizinischen Alternativen klar und über einen längeren Zeitraum hin bekundet wird – ohne jeglichen äußeren Druck und frei von (zumeist behandelbarer) Depressivität. Dementsprechende Hilfe sollte durch einen hierfür eigens bestallten Kreis von Ärzten und kompetenten Nicht-Ärzten angeboten werden. Die »Tatherrschaft«, wie es im Juristendeutsch heißt, muss aber ausnahmslos bei der sterbewilligen Person liegen: Sie hat den letzten Akt an sich selbst auszuführen.

Solche und ähnliche Positionen sind in Deutschland immer wieder und aus verschiedensten Kreisen geäußert worden, wenn auch mit uneinheitlicher Resonanz. Anfang Juni hat sich der Ärztetag in Kiel erneut mit der Thematik ärztliche Beihilfe zu einer selbstbestimmten Lebensbeendigung beschäftigt und kam bei einem Stimmenverhältnis von 166 zu 56 zu einem abschlägigen Ergebnis. Das Problem jedoch ist hartnäckig und damit nicht beseitigt. Ganz und gar nicht.