nd-aktuell.de / 04.07.2011 / Berlin / Seite 11

Der kleine Hans zeichnete das KZ Flossenbürg

Berliner Dokuzentrum NS-Zwangsarbeit: Achtjähriger hielt fest, was viele später nicht wahrhaben wollten

Andreas Heinz
Die Zeichnung von Kinderhand
Die Zeichnung von Kinderhand

Am 16. April 1944 schrieb der damals achtjährige Hans Halboth einen Brief an seinen Vater, dem eine Zeichnung des Konzentrationslagers Flossenbürg beigefügt war. Halboths Mutter war mit ihm vor den Luftangriffen auf Berlin zu Verwandten ins über 400 Kilometer entfernte Floß bei Weiden in der Oberpfalz geflohen. Zeichnung und Brief sind im Ausstellungskatalog der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zu finden. »Ein Beispiel dafür, was auch das Berliner Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit für seine Dauerausstellung sucht«, erläutert Projektkoordinatorin Silvija Kavcic.

Zur Zeichnung heißt es: »Bei einem Spaziergang zum Friedhof in Flossenbürg sieht er auch das Konzentrationslager. In einem Brief an seinen Vater zeichnet Hans, was viele später nicht wahrhaben wollten: Das Lager und die SS-Siedlung gehören genauso zum Ortsbild wie die Burgruine und die Granitsteine.« In dem Brieflein an seinen Vater schreibt Halboth: Lieber Vater! Denk Dir mal, ich hab einen Frosch, der quaken kann (10 pfg.). Für Deine schönen Karten herzlichen Dank. Morgen ist der letzte (Ferien) Tag. Morgen wird Radau gemacht. Es grüßt Dich Dein Hansi.

Für ND zeichnete der in Berlin-Siemensstadt geborene Hans Halboth seine Erinnerungen an Flossenbürg noch einmal auf. »Wegen der zunehmenden Luftangriffe über Berlin wurden die Berliner Schüler in die Kinderlandverschickung in den Warthegau geschickt«, schreibt der 75-Jährige. »Diese Gegend erschien meinen Eltern zu unsicher. Weil wir Verwandte im Süden Deutschlands hatten, versuchten meine Eltern mich dort irgendwo unterzubringen, damit ich dort zur Schule gehen konnte. Aber die jeweiligen Ortsgruppenleiter oder ähnliche haben mich immer wieder aufgespürt und immer wieder nach Berlin zurückgeschickt.«

Am 15. Februar 1944 wurde die Familie Halboth in Berlin ausgebombt. »Phosphorbomben der Engländer, die wohl hauptsächlich den Industrie- und Bahnanlagen galten, haben auch das Haus Natalissteig 23 in Siemensstadt in Brand gesetzt, in dessen Luftschutzkeller wir in dieser Nacht so lange saßen, bis die Kellerdecke heiß wurde.«

Am 18. Februar 1944 trafen die Halboths im oberpfälzischen Floß in der Nähe von Weiden ein und fanden Obdach bei der Familie Primus und Berta Schellein in der Bahnhofstraße 38, dem Schulgebäude. Hans Halboth hat weiter notiert: »Durch Floß wurden ständig Trecks von Häftlingen ins KZ von Flossenbürg getrieben. Sie boten uns Kindern selbst gebasteltes Spielzeug an und bettelten um Essbares. Uns aber war streng verboten, irgend etwas Essbares in den Händen zu halten. Jeder Kontakt zu den Häftlingen war streng verboten. Scharfe Wachen mit Hunden trieben die schwachen Menschen an. Da wanderte ich mit meiner Mutter etwa sechs Kilometer von Floß nach Flossenbürg. Von einem Friedhof aus, der auf einem Berg lag, konnten wir in einen Steinbruch schauen, in dem die KZ-Häftlinge arbeiteten.« Der kleine Hans zeichnete die Szene mit dem KZ Flossenbürg.

Projektkoordinatorin Silvija Kavcic deutet auf das Bild von Hans Halboth: »Wie man sieht, hat er das Lager und die Anordnung der Baracken sehr detailliert festgehalten. In diesem Zusammenhang muss immer wieder erwähnt werden, dass auch Häftlinge aus Konzentrationslagern zur Zwangsarbeit abgestellt wurden. Wir sind sehr interessiert an Dokumenten wie diesen in Flossenbürg. Wir sind aber genauso erfreut über Erinnerungen wie von Werner Beer aus Weimar.«

Beer reagierte auf die im ND erschienene Folge mit der Überschrift »Frauen am Pranger und kahl geschoren« (13. 4. 2011). ND gibt den Brief auszugsweise wieder: »Während des Zweiten Weltkriegs, ich bin 1931 geboren, gab es in Oschatz auch so einen Fall wie im Artikel beschrieben. Das Jahr kann ich leider nicht angeben. Eine Frau hatte eine Liebesbeziehung zu einem Polen gehabt. Ihr wurden die Haare geschoren, sie saß auf einem Hocker im Pranger am Rathaus aus dem Jahre 1532. Man hatte ihr ein Schild umgehängt, die Aufschrift ist mir leider entfallen.«

Hans Beer erinnert sich weiter: »Da wir erfuhren, dass der Pole gehängt werden sollte, und zwar in der Sandgrube in Altoschatz, waren wir sofort dorthin gelaufen. Um die Sandgrube waren Posten aufgestellt. Wir waren aber doch herangeschlichen und konnten in die Sandgrube sehen. Da war ein Podium mit Galgen aufgebaut. Davor waren alle polnischen Zwangsarbeiter zusammengetrieben, die der Hinrichtung beiwohnen mussten. Als der Pkw eintraf, wurde der Pole zum Galgen geführt. Wir mussten dann unseren Platz verlassen, da Posten auf unser Versteck zukamen. Es wurde nirgends über den Fall gesprochen. Ich hatte schon immer mal bei Besuchen meiner Heimatstadt versucht, ob irgend etwas über den Fall festgehalten wurde, aber nie etwas erfahren. Vielleicht erreichen Sie mehr«, so die Hoffnung des 80-jährigen Hans Beer.

www.gedenkstaette-flossenbuerg.de[1]

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