Das Dorf Mariental, am Ufer des großen Karaman, einem Nebenfluß der Wolga, gelegen, wurde 1766 gegründet. Unter den ersten Kolonisten, die meistens aus Rheinland-Pfalz und dem Schwabenland stammten und das Dorf gegründet haben, waren zwei mit Familiennamen Herrmann ... Im Laufe der Jahre wuchsen die Familien um ein Vielfaches, zudem wanderten auch in späteren Jahren einige Herrmanns zu. Irgendwann und irgendwie ist ein R des Namens verlorengegangen, und zu Kriegsbeginn 1941 gab es so viele Hermanns in Mariental, daß man sie nur über den Beinamen bzw. Spitznamen zuordnen konnte.
Aus den ärmlichen Dörfchen mit kleinen, aus Lehmsteinen errichteten Hütten war ein schönes stattliches Dorf geworden, das sich trotz allem auf den ersten Blick als deutsch erkennen ließ ... Anfang des 20. Jahrhunderts lebte in einem der schönen Eckhäuser in der Breiten Gasse, so hieß die Hauptstraße, Johann Hermann mit seiner Familie. Sein Beiname war Franze ...
Seit 1929 wurde in Rußland, wie auch in der Republik der Wolgadeutschen, die Kollektivierung der Landwirtschaft durchgeführt ... Franze-Hannes widerstand nicht lange, er ging schließlich zu der Verwaltung, selbstbeherrscht, in dem ihm eigenen zurückhaltenden Ton sagte er: »Ich gebe euch alles, restlos, das ganze Inventar, alle Geräte für die Wirtschaft, alles Vieh, das ich habe, und den Vorrat an Korn. Nichts werde ich verbergen, aber laßt mich bitte in mein Haus.« Drei Pferde, Kühe, Schafe, Ziegen wurden in den Kolchos abgeführt, Inventar und Getreide abtransportiert ... In traurigen Gedanken saß Johannes Hermann in seinem Holzsessel ... Unerträglich war das für den alten Mann ... Vor Kummer und Wehmut wurde er krank, und Ende 1931 starb Franze-Hannes. Sieben Kinder, sechs Enkelkinder hat er noch erlebt.
Aus der »Vorgeschichte« zu den Erinnerungen der Lydia Hermann »In der Verbannung. Kindheit und Jugend einer Wolgadeutschen« (Karl Dietz Verlag, 239 S., br., 14,90 €).
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/201493.leseprobe.html