nd-aktuell.de / 09.07.2011 / Brandenburg / Seite 14

Wand an Wand

Nir De Volff profiliert sich mit seiner Inszenierung »Komot« als schräger Geschichtenerzähler

Karin Schmidt-Feister

2004 gründete der Israeli Nir De Volff in Berlin seine eigene Kompanie Total Brutal. Der Name ist Programm für einen radikalen Zugriff der tanzenden Körper, die in den Performances auf soziale Codes begrenzt sind und in immer neue emotionale Apokalypsen münden. Nir De Volff profiliert sich mit Konzept und Choreografie von »Komot« weiter als eigenständig schräger Geschichtenerzähler. Das neue Tanzstück kreist um das Phänomen der Nachbarschaft; Nachbarn – Albtraum oder soziales Netzwerk? Vier Männer aus vier Ländern, vier Zimmer, vier Lebensentwürfe.

Jedes Detail, was Du siehst, kann wichtig sein, verkündet die Eingangsstimme aus dem Off. In der Tat lebt diese Tanz-Performance als erkennbare Teamarbeit von einer lustvollen gestischen Verquickung von Tanz, Wort, Musik (Claus Erbskorn), Bühnenbild und Requisiten (Anke Gänz), Kostüm (Iva Wili), Licht (Felix Grimm).

Zur Rossini-Ouvertüre »Die diebische Elster« durchbricht ein großer bärtiger Mann (Volff) die Tür des Miniaturwohnhauses. Er schiebt sich als müder gebeutelter Alter durch den Alltag, sein Nachbar Florian steht einbeinig neben einem Bonsai und zelebriert die Morgenmeditation. Musiker Claus beginnt den neuen Tag mit Kopfhörern verzückt als Elvis.

Chris, unbeirrbarer Sonnyboy aus Australien, stellt sich als neuer Nachbar vor, der die abweisende Selbstreflexion des verbissenen Zen-Jüngers zur Freude des Publikums missversteht und unbeirrt Körperkontakt sucht. Chris unternimmt tanzend und in aberwitzigen Worteskapaden immer neue Kontaktversuche, lädt zum Abendbrot und zur Party ein. Zu Vogelgezwitscher streut er Toastkrümel und Volff fliegt für Momente als Riesenvogel in sein Zimmer, setzt sich auf ihn, bis ihn der Zen-Nachbar mit dem Luftgewehr abknallt.

Volff lässt in genau fixierten Parallel-Aktionen und sich steigernden Wiederholungen die menschlichen Sehnsüchte und Abgründe aufblitzen. »Komot« entfacht ein Feuerwerk an Miniszenen, die dramaturgisch prägnant gebaut sind, den Zuschauer lustvoll zum Voyeur menschlicher Verhaltensweisen machen. Die englischen Dialog-Texte sind knapp, aberwitzig, treffend. Volff, der müde Alte mit dem Tick, die Flaschen zur Unzeit in den Container zu knallen, wohnt seit acht Jahren in Wohnung sechs und sehnt sich nach einem sehr anderen Leben – tänzelnd tritt er in drei Anläufen im Schweizer Dirndl mit blonder Zopfperücke ins Freie. Wie neu geboren singt er Amstrongs »What a wonderful world« bis ihm die Stimme versagt.

Sich gegenseitig mit Händen und Füßen knebelnd, schwadronieren die vier Männer über (un)mögliche neue Nachbarn – Araber, Usbeken, Albaner, Russen – bis die Gruppe in zwei Paarkämpfe zerbricht. Winzige Bewegungsänderungen erzeugen überraschend Harmonien. Dann verschieben sich die Zimmer hintereinander und Claus singt zur Gitarre von »Violence«, während drei Mitbewohner in einsamen Soli exzentrisch über die eigenen Füße in Dunkelheit stürzen.

Nir De Volffs »Komot« ist eine wundersame Stunde hintersinnigen Humors, ohne Blödelei, Trash, inhaltlichen Leerlauf. Von und mit Florian Bilbao, Claus Erbskorn, Chris Scherer und Nir De Volff, die hier wirklich als tanzende, singende, sprechende, spielende Darsteller individuell erkennbar sind, wird »Komot« zu einem augenzwinkernden Vergnügen über die Marotten, Träume, Albträume von eigenwilligen Egozentrikern, die so überall auf der Welt Wand an Wand neben- bzw. miteinander leben. »We are neighbours like you and me«, singen vier Männer ins Publikum. Das ist nicht immer angenehm – aber wunderbar anzusehen.

Bis 10.7., Dock 11