Geistes Sterben

Band von P. Maset

  • Alexander U. Martens
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Originellste an diesem Buch ist zweifellos sein Titel: Geistessterben. Diese Feststellung ist durchaus als Kompliment gemeint. Denn ohne Frage ist diese Wortschöpfung, die ihrem Urheber als Gegensatz zum – hoffentlich noch geläufigen – Begriff eines Geisteslebens eingefallen ist, nicht nur von aussagestarker Originalität, sondern sie kennzeichnet auch überzeugend den Befund, der hier für eine Gesellschaft erhoben wird, die immer einseitiger auf ökonomische und technische Effizienz ausgerichtet ist, und die Bildung zusehends mit Ausbildung verwechselt. Und in der »unsere Kultur sich immer mehr zur Wissenschaftskultur verwandelt, die unter Maßgabe des Kennziffer-Denkens die menschliche Existenz zu berechenbaren Größen geformt hat«.

Die totale Ökonomie als Ausdruck des Geistessterbens, Aufgabe des Geistes in der virtuellen Welt, die feindliche Übernahme des Geisteslebens durch Controlling und Marketing, das Ende der Kunst als Spektakel – an diesen vier Symptomen macht Pierangelo Maset seine Diagnose fest.

Als kulturkritischer Zeitgenosse kann man schwerlich widersprechen. Natürlich wissen wir, dass Freiheit mehr bedeutet als »von überall aus telefonieren zu können oder im Internet Waren aus aller Welt zu beziehen«, und dass Maset Recht hat, wenn er mahnt: »Der Lehrerberuf hat etwas mit Kultur zu tun, auch wenn das in Zeiten der PISA-Hysterie von den Bildungsplanern vergessen wird.«

Das Fatale all solcher Diagnosen war freilich schon immer, dass – im Unterschied etwa zur Medizin – es an der Durchsetzungsfähigkeit der notwendigen Therapie mangelt. Auch Maset macht sich insofern etwas vor, wenn er zum Schluss Hoffnung daraus zu schöpfen versucht, dass Geistessterben letztlich ein »ungemein positives Wort« sei, weil es doch »gleichzeitig nahe (lege), dass ... sein Gegenteil noch lebendig ist.«

Es steht zu befürchten, dass es sich hierbei eher um das bekannte Pfeifen im Wald handeln könnte.

Pierangelo Maset: Geistersterben. Eine Diagnose. Radius-Verlag. 117 S., geb., 16 €.

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