Ein gutes Dutzend Bauernopfer

Ägyptens Militärrat reagierte auf erneute Massenproteste mit Kabinettsumbildung

  • Juliane Schumacher, Kairo
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist derzeit kein angenehmer Job, in Ägypten Minister zu sein. Das liegt nur zum Teil daran, dass sie kaum etwas zu sagen haben, denn die Grundlinien der Politik gibt weiterhin der Militärrat vor, der das Land seit dem Rücktritt von Präsident Mubarak im Februar führt. Noch weit belastender ist etwas anderes, das jeden Tag über sie hereinbrechen kann.

Wenn das Volk, wie seit Jahresbeginn mehrmals geschehen, sich gegen die Herrschenden erhebt, sind diese gern bereit, Minister und sogar Ministerpräsidenten gnadenlos in die Wüste zu schicken – in der Hoffnung, dadurch die Wucht der Proteste abzumildern und zu verhindern, dass diese auf die wirklichen Machtzentren durchschlagen. Diese Taktik hat bei Präsident Hosni Mubarak am Ende aber nicht funktioniert. Und ob der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF) durch Ministerentlassungen verhindern kann, dass er selbst Zielscheibe von Kritik und Rücktrittsforderungen wird, ist fraglich.

Am gestrigen Montag gab Premierminister Essam Sharaf offiziell die Namen der neuen Minister bekannt. Eine Woche zuvor waren in allen größeren Städten Ägyptens Plätze und Straßen besetzt worden, gingen täglich Zehntausende auf die Straße. Sharaf hatte daraufhin erklärt, er werde in Absprache mit dem SCAF zwölf Minister entlassen. Am Ende waren es sogar 14.

»Sinnlos, sinnlos!« skandierten die Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Dennoch war in den folgenden Tagen das Interesse groß, als die ersten Namen auftauchten – schließlich sagt es viel über die weiteren Pläne des SCAF und des Premierministers aus, wen sie nominieren. Bis zur offiziellen Verkündung der Namen am Montag waren bereits mehrere Minister zurückgetreten und wohl ihrer Entlassung zuvorgekommen.

Einige der neuen Posten wurden nun durchaus mit Kandidaten besetzt, die an der Revolution direkt beteiligt waren, etwa Telekommunikationsminister Hazem Abdel Azim, von dem es auch Bilder im Internet gibt, wie er neben brennenden Polizeifahrzeugen steht, oder der neue Minister für Antiquitäten, Abdel Fatah al-Banna. Der in Ägypten durchaus umstrittene Posten war zuvor mit dem extravaganten und verhassten Zahi Hawass besetzt. Eine bekannte Figur ist auch Amr Helmi, der neue Gesundheitsminister; er ist jahrelang in informellen politischen Gruppen aktiv gewesen und führte vor einer Woche die Demonstration der Gewerkschaft des Gesundheitswesens zum Tahrir-Platz an.

Ähnliches gilt für den Minister für lokale Entwicklung, der ersetzt wird durch den alten, aber renommierten Richter Mohamed Atia. Neu besetzt wurden weiter die Posten für Wissenschaft, Industrie und Handel, Gesundheit, Investment, Finanzen, Bildung, Transport, Industrie und Landwirtschaft. Bereits am Samstag war Außenminister Mohammed al-Orabi zurückgetreten, der erst im Juni in sein Amt gekommen war. Er wurde durch Mohammed Amr ersetzt, der unter anderem als Botschafter in Saudi-Arabien gearbeitet hatte. Der Justizminister und der verhasste Innenminister Mansur al-Essawi bleiben auf ihren Posten; auch Premier Sharaf selbst versuchte, seine Haut zu retten und durch die Kabinettsumbildung seinen Posten nicht zu verlieren.

Zumindest teilweise scheinen diese Zugeständnisse die Lage zu entspannen – die Proteste auf dem Tahrir-Platz sind in den vergangenen Tagen weniger gut besucht gewesen als in der Woche zuvor.

Die Hoffnung, mit der Kabinettsumbildung von den tatsächlich Verantwortlichen ablenken zu können, hat sich aber wohl nicht erfüllt: Immer schärfer rufen die Demonstranten inzwischen nach einem Rückzug des Militärs aus der Politik. Die Ansprache des SCAF-Vertreters am vergangenen Dienstag hat diesen Trend noch verstärkt.

Mit weiteren Zugeständnisse und gezielter Repression in einzelnen kleineren Städten versucht der Militärrat, die Proteste wieder in den Griff zu bekommen – mit offenem Ausgang. So hieß es in einer Erklärung des SCAF, Militärtribunale würden künftig nur noch in wenigen Fällen eingesetzt, und das Demonstrationsrecht werde gewährleistet, solange die Kundgebung friedlich sei und weder wirtschaftlichen Schaden anrichte noch die Sicherheit untergrabe. Damit ging der SCAF zumindest verbal auf die Forderungen der Demonstranten ein.

Bei einem besonders emotionalen Punkt jedoch war kein Entgegenkommen zu erwarten: Mubaraks Prozess, so hieß es schließlich, werde in Sharm el-Sheikh auf der Sinai-Halbinsel geführt. Die Protestierenden hatten verlangt, Mubarak endlich – wie zuvor bereits andere abgesetzte Politiker auch – ins Kairoer Großgefängnis Tora zu verlegen.

Diskussionen gab es unterdessen erneut um Mubaraks Gesundheitszustand: Er habe einen Schlaganfall gehabt und liege im Koma, meldete am Sonntag das ägyptische Fernsehen unter Berufung auf seinen Anwalt. Minuten später schon rief der Chef des Internationalen Hospitals Sharm el-Sheikh bei dem Sender an und dementierte das Bulletin, ebenso später der Gesundheitsminister. Dennoch waberte die Meldung noch bis zum gestrigen Montag durch die Presse – ähnlich wie einige Wochen zuvor das Gerücht über Mubaraks angebliche Krebserkrankung

Und auch was Mubaraks Söhne Gamal und Alaa betrifft, haben sich die argwöhnischen Stimmen noch nicht beruhigt, die mit Verweis auf einige Zeitungsberichte davon sprechen, dass die Präsidentensprösslinge gar nicht in Haft, sondern auf freiem Fuß sind und durch Kairo spazieren.

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