Glasperlen-Prozesse

Kommentar von Roland Etzel

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Helden vom Kairoer Tahrir-Platz fühlen, dass man ihnen ihren Sieg stehlen will. Seit die scheinbar Machtlosen den pharaonischen Mubarak wider alle Erwartung vor fünf Monaten zum Rücktritt zwangen, hat sich das Tempo der Veränderung verlangsamt, kaum spürbar, aber stetig. Der regierende Militärrat bremst, wo er nur kann – nicht ohne Erfolg.

Dennoch: Die Versuche, dem großen Lümmel das Demonstrieren schon wieder zu verbieten, hat man schnell aufgegeben. Noch ist die Furcht der Militärs groß, der Funke des Aufstands könnte über Nacht erneut angefacht werden und ließe dann ihren Vertrauensbonus in Flammen aufgehen. So werfen sie dem Volkszorn von Zeit zu Zeit mal eben ein paar subalterne Missetäter zum Fraße vor, veranstalten – übrigens analog zu Tunesien – ein paar lautstarke Prozesse gegen sie. Soll sich der Pöbel doch an den Veruntreuern der Glasperlen abarbeiten; vielleicht wird dann weniger über die verprassten Kronjuwelen Ägyptens (und Tunesiens) geredet – und darüber, in wessen Taschen die Milliarden verschwanden, bei wem im Westen für welche (Waffen)-Lieferung wieviel kleben blieb.

Und erst die politische Dimension. Tunesiens neue Führung ist gewiss heilfroh, dass »ihr« Ben Ali in Saudi-Arabien sitzt. Hörbare Rufe nach seiner Auslieferung gibt es jedenfalls nicht. Diesen Gefallen hat der stolze Mubarak dem Militärrat in Kairo – und damit auch den USA – nicht getan. Man darf gespannt sein, wie sie dieses Problem lösen wollen.

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