Unisex-Tarife – gleiche Beiträge für Mann und Frau

ND-Serie: Welche Versicherungen Sie wirklich brauchen (Teil 13)

  • Lesedauer: 5 Min.
In einer Artikelserie zum umfangreichen Thema Versicherungen behandelt unser Autor HERMANNUS PFEIFFER, Wirtschaftspublizist in Hamburg, jeden Mittwoch an dieser Stelle unterschiedliche Aspekte und Probleme über Versicherungen im Alltag, über Sachversicherungen oder Versicherungen zur Gesundheit und Arbeit. Im heutigen Teil 13 geht es um Unisex-Tarife – um gleiche Beiträge für Mann und Frau trotz unterschiedlicher Risiken.

Der 1. März 2011 veränderte die Versicherungslandschaft von Grund auf. Verantwortlich dafür ist das »Unisex-Urteil« des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg. Es schlägt hohe Wellen in der Branche: Die einen begrüßen das Ende der Frauen-Diskriminierung, andere fürchten höhere Beiträge, noch andere hoffen auf neue Geschäfte.

Seit mehr als hundert Jahren unterscheiden die Versicherer bei ihren Kalkulationen zwischen Männern und Frauen. Frauen zahlen daher andere Prämien als Männer und umgekehrt. Die Richtlinie 2004/113/EG1 der Europäischen Union untersagt jedoch schon seit längerem jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. So verbietet sie grundsätzlich die Berücksichtigung des Geschlechts als Kriterium für die Berechnung von Prämien und Leistungen.

Dass aus »grundsätzlich« nun bald allgemeine Praxis wird, dafür sorgte der Gerichtshof der Europäischen Union mit seinem Urteil vom 1. März. Danach ist die Berücksichtigung des Geschlechts von Versicherten als Risikofaktor in Versicherungsverträgen »eine Diskriminierung«. Bis zum 21. Dezember 2012 müssen Prämien und Leistungen bei Neuverträgen »geschlechtsneutral« gestaltet sein. Versicherer müssen dann einheitliche Verträge für Mann und Frau anbieten, sogenannte Unisex-Tarife.

Der EuGH begründet sein viel Aufsehen erregendes Urteil mit der »Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern« (Rechtssache C-236/09). Das Verbot von Diskriminierung nach Geschlecht, Alter oder Herkunft gehört zu den Grundsätzen der EU. Doch es gab und gibt Ausnahmeklauseln. So konnten Versicherungsunternehmen bisher in ihren Tarifen nach Frauen und Männern unterscheiden. Daher gibt es in der Renten-, Lebens-, Kranken- und Kfz-Versicherung geschlechterspezifische Policen. Bei der Tarifkalkulation, so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), handelt es sich nur um eine »Differenzierung nach dem Risiko, nicht um eine Diskriminierung«.

Lange Zeit war es vor allem für Frauen teuer, sich zu versichern. Noch in den achtziger Jahren mussten sie bis zu 50 Prozent höhere Beiträge für einen Schutz gegen Berufsunfähigkeit zahlen als Männer – egal, welchen Beruf sie ausübten. Die bundesdeutschen Versicherer begründeten diese Schieflage damals mit einem Mangel an Erfahrungen mit berufstätigen Frauen, und als Kalkulationsgrundlage wurden noch Daten aus dem Jahr 1935 verwendet. Proteste von Verbraucherschützern und Frauenverbänden führten jedoch zum Ende dieser offenkundigen Diskriminierung. Berufsunfähigkeitstarife wurden neu kalkuliert. Die Beiträge richten sich heute allein nach dem Risikofaktor, den der ausgeübte Beruf des jeweiligen Antragstellers mit sich bringt – unabhängig vom Geschlecht.

Bei anderen Versicherungsarten blieb jedoch bis heute alles beim Alten. Frauen zahlen bei Renten- oder Lebensversicherungen bislang drauf. So müssen sie für die gleiche Monatsrente jahrelang deutlich höhere Beiträge an den Versicherer zahlen als Männer. Auch in der privaten Krankenversicherung zahlen Frauen höhere Beiträge.

Die Assekuranz begründet diese Ungleichbehandlung mit der längeren Lebenserwartung von Frauen. Entsprechend schneiden Frauen versicherungsmathematisch günstiger bei einer Autoversicherung ab. Da sie im Schnitt weniger riskant als Männer fahren, weniger Unfälle verursachen und – so das Statistische Bundesamt – nur halb so viele schwere Unfälle als Männer verursachen, bieten Versicherer einen Frauenrabatt an. Allerdings differenzieren nicht alle Unternehmen nach Geschlecht. Preisvorteile gibt es etwa für Wenigfahrer und Garagenbenutzer. Allerdings geht es bei Kfz-Policen höchstens um ein paar hundert Euro, während in der Renten- und Lebensversicherung Frauen schnell mal ein paar tausend Euro mehr zahlen als Männer.

Ein erster Versuch der EU-Kommission, geschlechterdifferenzierte Versicherungstarife zu verbieten, scheiterte noch am Widerstand der Versicherungslobby, die vor allem bei den für sie lukrativen Renten- und Lebensversicherungen ein Abwandern der Kundschaft zu Fondsgesellschaften und Banken befürchtete. Im Oktober 2004 stoppte der EU-Ministerrat das Reformprojekt »Unisex-Tarife«.

Doch nicht immer genügte der Hinweis auf die Versicherungsmathematik, um Grundrechte aus wirtschaftlichen Gründen auszuhebeln. Die teuren »Balkan«- und »Türken-Tarife« für Autofahrer, die vom Balkan oder aus der Türkei stammen, wurden 2005 durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt. Die Richter in Karlsruhe begründeten ihren Spruch – ebenso wie jetzt der EuGH – mit dem Diskriminierungsverbot.

Ausgelöst hat den jüngsten Unisex-Streit die belgische Verbrauchervereinigung Test-Achats, die vorm belgischen Verfassungsgerichtshof gegen die Nichtumsetzung der EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung geklagt hatte. Der Verfassungsgerichtshof rief daraufhin den EuGH um eine Grundsatzentscheidung an.

Auch deutsche Verbraucherschützer begrüßen das Unisex-Urteil. Der GDV kritisiert dagegen das Urteil und fordert indirekt den EU-Gesetzgeber zum Eingreifen auf. Der EuGH habe »ein zentrales Prinzip der privaten Versicherungswirtschaft infrage gestellt«. Infolge des Urteils muss die Versicherungsbranche bis spätestens 21. Dezember 2012 einheitliche Tarife für Männer und Frauen anbieten. Für die Versicherer sei das ein »große Herausforderung«, schließlich müssten sie ihr Tarifsystem weitgehend umstellen.

Denkbar also, dass der Gesetzgeber aktiv wird; möglich auch, dass durch die Hintertür die tatsächlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau etwa im Fahrverhalten »geschlechtsneutral« in die Angebote der Assekuranz einfließen. Einige Unternehmen erwarten deutlich steigende Prämien: Die Beiträge für eine private Rentenversicherung dürften sich eher an den teureren Policen von Frauen orientieren. Andere Branchenkenner halten dies eher für eine Drohgebärde der Wirtschaft.

Unterm Strich dürfte es bei Verbrauchern Gewinner und Verlierer geben. Wo Frauen bislang günstiger abschnitten wie in der Autoversicherung, dürften die Prämien für sie steigen, für Männer sinken; wo Männer bislang vorn lagen, etwa in der Lebensversicherung, dürfte die neue Mischkalkulation mit beiden Geschlechtern zu höheren Beiträgen für Männer führen und zu niedrigeren für Frauen.

Teil 14 in der nächsten Woche: die Unfallversicherung

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