EU-Kommission soll Wasser-Privatisierung prüfen

Verbraucherzentrale und Transparency International sehen Rechtsverstöße beim Teilverkauf der BWB 1999

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Die EU-Kommission soll nach dem Willen der Berliner Verbraucherzentrale und der Organisation Transparency International die offen gelegten Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) prüfen. Ob dieser Weg erfolgsversprechend ist, blieb gestern allerdings unklar.
Nach den erfolgreichen Protesten gegen die Teilprivatisierung des Wassers könnte jetzt die juristische Prüfung folgen. ND-
Nach den erfolgreichen Protesten gegen die Teilprivatisierung des Wassers könnte jetzt die juristische Prüfung folgen. ND-

Es ist ein kleines Team, das sich seit März dieses Jahres unter dem Dach der Grünen Liga in Berlin zu einer »Expertengruppe« zusammengefunden hat. Knapp zehn Juristen, einige davon im Ruhestand, andere noch aktiv als Rechtsanwälte, machen mit. Sie haben sich vorgenommen, die nach erfolgreichen Protesten offengelegten Teilprivatisierungsverträge der Wasserbetriebe unter die Lupe zu nehmen. Ehrenamtlich, versteht sich.

»Je tiefer wir in die Prüfung eingestiegen sind, desto erschreckender stellt sich die Art und Weise dar, wie hier gegen jede Rechtsstaatlichkeit agiert wurde«, sagt Sabine Finkenthei, die die Arbeitsgruppe unabhängiger Juristen leitet. Das klingt nach starkem Tobak, doch anders, als viele erwartet hatten, folgte nach der Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge zwischen dem Land Berlin und den privaten Investoren RWE und Veolia von den Initiativen aus lange keine juristische Anfechtung der umstrittenen Verträge.

Das ist seit gestern anders. Als erstes Ergebnis aus der Sichtung der komplexen Vertragsmaterie haben sich nun die Juristen um Finkenthei gemeinsam mit der Berliner Verbraucherzentrale und Transparency International an die EU-Kommission gewandt. Die oberste europäische Wettbewerbsbehörde soll prüfen, ob es bei der Teilprivatisierung 1999 durch den Diepgen-Senat mit rechten Dingen zuging oder möglicherweise EU-Recht verletzt wurde. Hinweise für Letzteres meinen die Juristen und ihre Partner gefunden zu haben.

»Wir haben Verdacht, dass die Wasserverträge des Landes Berlin mit Veolia und RWE unrechtmäßig sind«, sagt Edda Müller, die Vorsitzende der deutschen Sektion von Transparency International. Konkret gehe es um Verstöße gegen Beihilfe-Vorschriften, aber auch gegen das EU-Vergaberecht. »Sollten die Prüfungen unseren Verdacht bestätigen, wird dies erhebliche Auswirkungen haben«, prognostiziert Müller. Möglicherweise sogar auf die Privatisierungsaktivitäten im kommunalen Bereich in der ganzen Republik.

Doch soweit ist es noch nicht. Die EU-Kommission bestätigt zwar in einer E-Mail, die ND vorliegt, den Eingang des Antrags auf Überprüfung. Ob die Nachforschungen zugelassen werden, ist jedoch unklar. Denn um das zu beurteilen, braucht die EU-Kommission mehr Informationen zu den Vorwürfen, erklärt die Sprecherin der EU-Kommission für Wettbewerb, Amelia Torres, dem ND. Bisher gebe es jedenfalls »keine Untersuchung«.

Dass der Antrag erfolgversprechend ist, davon ist der Chef der Berliner Verbraucherzentrale, Jürgen Keßler, überzeugt. Die sogenannte Gewinngarantie in den Teilprivatisierungsverträgen verstößt aus seiner Sicht auf jeden Fall gegen das Beihilfeverbot. »Privaten Unternehmen dürfen aus staatlichen Mitteln keine Gelder zugeführt werden, die den Wettbewerb verzerren«, sagt Keßler. Dabei sei unerheblich, dass es in der Wasserwirtschaft eine Monopolstellung der BWB gebe und dass das Land Berlin möglicherweise nie mit Ausgleichszahlungen aus dem Haushalt die Gewinnerwartungen der Privaten kompensieren musste. Viel entscheidender sei, so Keßler, dass ein privates Unternehmen niemals einen vergleichbaren Vertrag abgeschlossen hätte. »Erhebliche Zweifel« hat der Verbraucherschützer auch am Vergabeverfahren, in dem 49,9 Prozent der Wasserbetriebe vom Berliner Senat veräußert worden waren.

Wenn die EU-Kommission diese Bedenken teilt, müssten laut Keßler die Verträge rückabgewickelt werden. Im Falle des Verstoßes der Wettbewerbsverzerrung durch Beihilfen könnte das Land Berlin zudem Rückforderungen an RWE und Veolia geltend machen, um mit diesem Geld die Wasserpreise zu senken oder den Nutzern einen Ausgleich zu erstatten. Zunächst gilt es jedoch, die Antwort und das Ergebnis der EU-Kommission abzuwarten. Derartige Hauptprüfungen dauern normalerweise bis zu einem Jahr, sagt Keßler.

Neu sind die Bedenken, dass gegen EU-Recht verstoßen wurde, indes nicht. Nach ähnlichen Äußerungen eines Wissenschaftlers der Humboldt-Universität hatte der Abgeordnete Klaus Lederer (LINKE) Anfang März beim Berliner Senat nachgefragt. Die Finanzverwaltung ließ damals wissen: »Das Verfahren wurde seinerzeit intensiv anwaltlich begleitet und nach Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit vergaberechtlichen Bestimmungen durchgeführt.«

Auch Wirtschaftssenator Harald Wolf äußert sich skeptisch zum neuen Vorstoß. »Ob es tatsächlich zur Durchführung eines formellen Verfahrens kommt, bleibt abzuwarten.« Man begrüße zwar jeden Beitrag zu einer eventuellen Klärung der rechtlichen Lage. Primär gehe es jedoch darum, die Verhandlungen über den Rückkauf der Wasserbetriebe und die Senkung der Wasserpreise voranzutreiben.

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