Angst vor russischen Konzernen?

DIW-Expertin Claudia Kemfert über Kooperationen mit Gazprom und Co.

  • Lesedauer: 3 Min.
Die habilitierte Ökonomin leitet die Energie-Abteilung am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Die habilitierte Ökonomin leitet die Energie-Abteilung am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

ND: Gazprom wird wohl Kraftwerke mit RWE bauen und RWE-Aktien übernehmen sowie eventuell auch E.on-Anteile aufkaufen. Und Gazprom-Konkurrent Novatek will mit EnBW kooperieren, in einer Größenordnung von mehreren hundert Millionen Euro. Die russischen Gaskonzerne kommen – ein Grund zur Besorgnis?
Kemfert: Grundsätzlich nein, jeder Marktteilnehmer ist willkommen. Denn in der Vergangenheit war es ja eher so, dass vier große Konzerne sich das Marktgeschehen in Deutschland weitestgehend aufgeteilt haben. Die Energiewende öffnet nun Möglichkeiten für neue Anbieter, im deutschen Markt tätig zu sein. Dabei ist es grundsätzlich erst einmal unerheblich, wo der Konzern herkommt. Ob eine Beteiligung an deutschen Konzernen überhaupt möglich sein wird, entscheidet ohnehin das Kartellamt. Es ist auch zu vermuten, dass die Gaskonzerne selbst auf dem deutschen Markt tätig werden.

Warum wollen gleich drei große deutsche Energieversorger mit den Gasriesen kooperieren? Haben sie Finanzsorgen wegen des Atomausstiegs?
Es hat eher etwas damit zu tun, dass Gaskraftwerke in Deutschland gebaut werden sollen. Da macht eine Kooperation Sinn. Deutschlands Energieversorgung basiert noch immer zu über 40 Prozent auf Kohle, den Anteil will man in den kommenden Jahren deutlich mindern. Gaskraftwerke sind besonders gut geeignet für die Energiewende. Sie sind gut kombinierbar mit erneuerbaren Energien, da flexibel einsetzbar und leicht hoch- und runterfahrbar. Zudem verursachen sie deutlich weniger Treibhausgase.

Gibt es gar keinen Haken?
Doch, russisches Gas ist zu teuer, Deutschland zahlt zu viel dafür. Die Kooperationen mit den russischen Unternehmen sind nur sinnvoll, sofern sie deutlich niedrigere Preise anbieten. Wenn es weder den Konzernen noch der deutschen Kanzlerin gelingen sollte, günstigere Konditionen auszuhandeln, ist der Einsatz von Gas wirtschaftlich nicht attraktiv, der Bau von Gaskraftwerken wäre in Gefahr, und es würden mehr Kohlekraftwerke gebaut. Vielleicht entsteht nun durch den Wettbewerb mehr Druck auf die russischen Konzerne.

Was bedeutet all das für die Energiepreise und die Versorgungssicherheit in Deutschland?
Die Versorgungssicherheit wird gestärkt, um die muss man sich seit der Entspannung auf dem internationalen Gasmarkt ohnehin keine Sorgen mehr machen. Gas gibt es im Überfluss, zudem ist es auch noch billig zu haben. Allerdings ist es derzeit billiger, sich auf dem internationalen Markt mit Gas zu versorgen als über russische Lieferunternehmen.

Gazprom geht es nicht nur um den deutschen Markt. Kraftwerke mit RWE will der russische Gigant auch in Großbritannien und den Beneluxländern bauen.
Gazprom will generell in Europa aktiv werden. Deutschland bietet derzeit aufgrund der Energiewende die attraktivsten Perspektiven, daher das aktive Interesse.

Gazprom sei ein »Selbstbereicherungssystem« mit »kriminellen Strukturen«, sagt der Publizist Jürgen Roth. Stimmen Sie zu?
Das lässt sich von außen schwer beurteilen. Wenn Gazprom ernsthaft auf dem deutschen und europäischen Markt aktiv sein will, muss man sich den Gesetzen des freien Marktes aussetzen. Die europäischen Gesetze sind streng. Ohne Transparenz und die Umsetzung des üblichen wettbewerblichen Marktverhaltens wird es für jeden Konzern schwer.

Fragen: Marcus Meier

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