Käsus von Nazareth

Der Gottessohn als Käsecräcker und weitere brandneue Reliquien – dokumentiert bei Youtube

  • Lesedauer: 5 Min.
Wunderwahn und Warenwunder: In den USA wird Jesus Christus in letzter Zeit häufig auf Käse-Basis, tja, reinkarniert. Lokale Fernsehsender berichten ebenso getreulich wie ironiearm von diesen Phänomenen – und stellen ihre Videos ins Internet.
Käsus von Nazareth

Stell Dir vor, Du schaust auf Deinen Kassenbon. Und Du erblickst das Antlitz von – Jesus! Unglaublich? Nein, angeblich höchst real. Und eine »Botschaft von Oben« , wie die Nachrichtenmoderatorin des US-Fernsehsenders WYFF durchaus unironisch bemerkt. Jesus – früher bildete der Messias sich auf Gegenständen wie dem Turiner Grabtuch ab. Doch das war zu Zeiten des klassischen – und kirchenoffiziellen! – Reliquienschwindels. Heute entdecken gläubige US-Amerikaner ihre Wunderzeichen auf profaneren Dingen: auf Toasts, auf Kniescheiben, Telefonleitungsmasten. Und eben – auf Supermarkt-Rechnungen, im konkreten Fall einer der Kette Walmart. Diese Gnade wurde Jacob Simmons und Gentry Lee Sutherland teil – einem Pärchen aus Anderson County im Bibelgürtel-Staat Kansas. Und fürwahr: Mit etwas gutem Willen kann man dort, wo sonst nur die Preise von Erdnussbutter und Limonaden stehen, den Schatten eines bärtigen Mannes erkennen. Der Heiland himself? »Je länger Du darauf blickst, um so mehr schaut er wie Jesus aus!«, sagt Simmons. »Es war ein Schock!«, so bekennt er freimütig, als er nach dem Einkauf zu Hause den Bon auspackte und feststellte, dass der sich verändert habe...

Pah! Das ist noch gar nichts verglichen mit Cheesus (»Käsus«), über den ein Fernsehsender von Ruppert Murdochs Fox-Gruppe vor einiger Zeit berichtete. »Oh mein Gott, das sieht aus wie Jesus an einem Kreuz«, sagt Kelly Ramey über einen Käsecracker der Marke »Cheeto«, den sie seither in einer Schmuckschatulle aufbewahrt. »So komisch es auch klingen mag«, sagt die Hausfrau, »ich entdeckte Jesus auf einem Cheeto!« Ihre Freunde und Verwandten sind ähnlicher Meinung. Ein Gottesmann wird mit den Worten zitiert, »wenn jeder von uns Jesus in sich selbst fände« wie Madame Ramey in ihrer Käsecracker-Packung für 99 Cent, »dann wäre das eine wunderbare Sache«. Völlig anerkannt scheint Käsus kirchlicherseits also noch nicht zu sein, dafür ist er nicht allein: Der Sender recherchierte nach – im Internet, wo sonst. Und fand weitere angebliche Käsusse. Fragwürdige Belege: Zumindest ein Käse-Jesus sieht aus wie ein Embryo mit Wehrmachtshelm. Militanten Abtreibungsgegnern dürfte dass gefallen.

In Hathaway, Louisiana, erkennt der Gläubige Rickey Navarre den Messias an einem Telefonleitungsmasten. Entdeckt hat Naverre des Religionsstifters Ebenbild, das aus wildem Wein wuchs, als er zu einem Bootskauf fuhr. Dem Fernseh-Team, das er danach anlockte, sagte er: »Ich konnte meinen Augen nicht glauben. Das sieht ganz gewiss aus wie Jesus, der von einem Telefonmasten hängt.« Das kann natürlich kein Zufall sein, sagt Naverre. Vielmehr sei irgendwo eine Botschaft des Allmächtigen versteckt. Fragt sich nur: Wo und welche? Egal, da geht's zum Bericht des lokalen TV-Senders!

Mark Liptons Motorrad hat einen schweren Unfall völlig unbeschadet überstanden. Allein das ist für Lipton (»Da hatte jemand nach mir geschaut«) schon ein Wunder. Der Fahrer indes zog sich – die übernatürliche Kraft war an diesem Tag offenbar rationiert – mindestens eine Verletzung an der Kniescheibe zu. Die ist zwischenzeitlich zur Narbe mutiert – und Lipton (»Wow!«) erkennt darin niemand Geringeres als die Jungfrau Maria. Natürlich vor laufender TV-Kamera.

Warum groß drumrum reden? Sehet, Linda Lowe aus South Carolina entdeckte Jesus auf einem Käse-Toast! Und brachte immerhin ein komplettes Kamerateam der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) dazu, bei ihr zu Hause aufzurockern. Was dann geschah, sehen Sie hier .

Immerhin, Lowe wird als »Toast-Eigentümerin« verspottet. So viel ironische Distanz zum wundersamen Sujet ist indes die Ausnahme bei den meisten dieser Wunder-Berichte. Bestenfalls sind sie doppelt codiert – nach dem Motto: »Urteilen Sie selbst!« Videos, die den Wahn verballhornen, sind derweil nicht annähernd so komisch wie das Original. Wie könnten sie auch?

Nicht unbedingt Mainstream-Christ, eher Esoteriker, aber definitiv ein Anwärter für den Darwin Award ist – respektive war! – der »Geister-Jäger« Christopher Kaiser. Am 119. Jahrestag eines legendären Zugunglücks auf einer Eisenbahnbrücke bei Statesville, North Carolina, erklomm er eben diese historische Unglücksstätte. Auf der Suche war er nach »paranormalen Aktivitäten«. Doch dabei wurde Kaiser dort von einer höchst realen und gegenwärtigen Eisenbahn erfasst, wie CNN berichtet. Der Legende nach sollen an den Jahrestagen des klassischen Unglücks Schreie der Sterbenden zu hören sein. Ob dies tatsächlich der Fall ist, kann Kaiser nun nicht mehr bezeugen. Möge er – wenigstens er! – in Frieden ruhen.

So viele zeitlich und räumlich nicht unmittelbar beieinander liegende Ereignisse, über die zudem nur in lokalen Medien berichtet wurde: Früher hätten wir keinen Zusammenhang oder gar einen Trend erkennen können. Nun schon. Einzeln hochgeladen von unterschiedlichsten Akteuren, ergeben die Filmchen ein schlüssiges Gesamtbild: Jesus muss tot sein, endgültig, gestorben aus Scham und Gram über seine allzu freakigen Anhänger. Danke, Youtube!

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