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»Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht«

  • Lesedauer: 3 Min.
Das Landesarbeitsgericht Hamm befasste sich mit einem in der Tat nicht alltäglichen Kündigungsrechtsstreit. Auslöser war nämlich ein (in den Augen der Arbeitgeberin umstrittener) Roman, den ein Mitarbeiter des Unternehmens geschrieben hatte. Daraufhin sollte der Arbeitnehmer und Romanautor gekündigt werden.

In dem vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm am 15. Juli 2011 verhandelten Kündigungsrechtsstreit ging es darum, dass ein Mitarbeiter eines Unternehmens einen Roman geschrieben hat, der nach Meinung des Arbeitgebers deutliche Parallelen zum Unternehmen und dort tätigen Personen aufweist sowie, dass der Roman beleidigende, ausländerfeindliche und sexistische Äußerungen über Kollegen und Vorgesetzte enthalte.

Die Berufung der Arbeitgeberin gegen das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Herford, das der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters stattgegeben hatte, wurde vom LAG Hamm zurückgewiesen (Urteil vom 15. Juli 2011, Az. 13 Sa 436/11), wie der Verband deutscher Arbeitsrechts-Anwälte e.V. (VdAA) informierte.

Der 51-jährige Kläger ist seit 1998 bei der beklagten Arbeitgeberin als Sachbearbeiter in der Abteilung Vertrieb/Verkauf tätig. Er ist Mitglied des Betriebsrats des Unternehmens, das Küchenmöbel herstellt und 300 Arbeitnehmer beschäftigt.

Der Kläger hatte einen sogenannten Büro-Roman verfasst, der den Titel trägt »Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht«. Der Roman ist aus der Perspektive des Ich-Erzählers »Jockel Beck« geschrieben. Im Buch wird dem Arbeitnehmer »Hannes« unterstellt, dieser konsumiere Rauschmittel. Über die Arbeitnehmerin »Fatma« heißt es, sie »erfülle so manches Klischee, was man allgemein von Türken pflegt: krasse Nutzung der deutschen Sprache und aufschäumendes Temperament«. Leider stehe ihr Intellekt genau diametral zu ihrer Körbchengröße. Der Junior-Chef »Horst« wird so beschrieben: »Er ist ein Feigling! Er hat nicht die Eier, jemandem persönlich gegenüberzutreten, dafür schickt er seine Lakaien.«

Der Kläger bot das Buch Ende Oktober 2010 während der Arbeitszeit Kollegen zum Kauf an. Die Arbeitgeberin sprach daraufhin am 10. November 2010 eine fristlose Kündigung aus. Der Betriebsrat hatte zuvor dieser Kündigung zugestimmt.

Die Arbeitgeberin stützte die Kündigung darauf, dass der Roman des Klägers beleidigende, ausländerfeindliche und sexistische Äußerungen über Kollegen und Vorgesetzte des Klägers enthalte. Das Buch weise deutliche Parallelen zum Unternehmen und dort tätigen Personen auf. Die Romanfiguren seien als tatsächlich existierende Personen zu identifizieren. Durch den Roman sei der Betriebsfrieden erheblich gestört worden. Verschiedene Arbeitnehmer hätten sich persönlich angegriffen gefühlt.

Der Kläger hielt die Kündigung für unwirksam. Bei dem Buch handele es sich um einen fiktiven Roman. Er habe keine Umstände aufgegriffen, die eine Identifikation zuließen. Der Kläger berief sich auf die Freiheit der Kunst.

Das Arbeitsgericht Herford gab erstinstanzlich mit dem Urteil vom 18. Februar 2010 der Kündigungsschutzklage statt, wogegen die Arbeitgeberin Berufung einlegte. Die 13. Kammer des LAG Hamm wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück.

Maßgeblich für die Kammer waren folgende Erwägungen: Der Kläger könne sich auf die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG berufen. Insoweit bestehe die Vermutung, dass es sich bei einem Roman nicht um tatsächliche Gegebenheiten, sondern um eine fiktionale Darstellung handele. Etwas anderes könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann gelten, wenn alle Eigenschaften einer Romanfigur dem tatsächlichen Vorbild entsprächen. Dies habe im Streitfall nicht festgestellt werden können, zumal die Beklagte betont habe, die im Roman überspitzt gezeichneten Zustände spiegelten nicht die realen Verhältnisse im Betrieb wider.

Das LAG ließ mit Blick auf den Einfluss des Verfassungsrechts auf die Entscheidung die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu.

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