Getrieben, besessen

Georg Kaiser

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 2 Min.

Sie holten ihn am Morgen des 13. Oktober 1920 aus seinem Berliner Hotelbett und verurteilten ihn wegen Betrugs und Unterschlagung zu einem Jahr Gefängnis. Er hatte Glück und kam nach sechs Monaten wieder frei. Da war Georg Kaiser schon der meistgespielte Dramatiker in Deutschland, ein Virtuose des Theaters, der in jagenden, grellen Bildern die Abgründe der Welt, die verheerenden politischen und sozialen Zustände beschrieb.

Er war angetreten, dem Zuschauer seinen Traum vom neuen Menschen zu zeigen und war dabei erfolgreich wie kein anderer aus der expressionistischen Dichtergeneration, aber Aufstieg und Fall lagen dicht beieinander.

Kaiser, ungeheuer produktiv, schrieb Stück um Stück (»Die Bürger von Calais«, »Von morgens bis mitternachts«, »Gas« und »Gas. Zweiter Teil«), er jagte wie gehetzt dem Geld hinterher, das nie reichte, um sein luxuriöses Leben zu finanzieren, er stürzte ab, rappelte sich nach der Haft wieder auf, wurde 1933 als »nicht länger tragbar« aus der Preußischen Akademie der Künste entfernt, emigrierte 1938 nach Holland und Wochen später in die Schweiz. Dort lebte er noch sieben Jahre in bitterer Armut, angewiesen auf die Solidarität der Freunde. Im Juni 1945 ist er in Ascona gestorben.

Sein Ruhm ist verblasst, das Werk fast unbekannt. Bis vor wenigen Jahren gab es in Grünheide, wo Georg Kaiser lange gelebt hat, noch einen Tag, der seinem Andenken gewidmet war. Inzwischen ist es auch dort still um ihn geworden. Zum Glück gibt es die Akademie der Künste in Berlin, die seinen Nachlass verwaltet. Sie hat ihn jetzt aus der Versenkung geholt.

Geblieben ist von einer kleinen Ausstellung am Pariser Platz, eben erschienen, ein schönes, üppig bebildertes, von Sabine Wolf verantwortetes Büchlein, das eindrucksvoll Weg und Leistung Kaisers umreißt: mit Porträtaufnahmen, Ansichten der Wohnorte, Bühnenfotos, Zeichnungen, Faksimiles, Aufsätzen, Zitaten aus Texten, Kritiken und Briefen. Endlich ein resoluter (und überzeugender) Versuch, diesem besessenen, fantasiebegabten, getriebenen Dichter die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Kunst und Leben. Georg Kaiser (1878 - 1945), hg. von Sabine Wolf, Akademie der Künste, Berlin. 139 Abb., 208 S., brosch., 19,80 €. ISBN 978-3-88331-174-6

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