Das Schlupfloch

Im Bazar ...

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

In einem Land, in dem Sex vor oder außerhalb der Ehe Ehebruch ist und natürlich auch die Prostitution mit schwersten Strafen belegt, muss man(n) wohl andere Wege finden, um nicht zu darben. Zumal auch Männern vom Koran nur höchstens vier Ehefrauen zugestanden werden, und auch die nur, wenn sie alle gleichermaßen (gut) versorgt sind. Die schiitischen Religionsgelehrten Irans haben einen Weg aus dem Dilemma gefunden, wie man(n) dieses relative Keuschheitsgebot befolgen kann, ohne es wirklich zu erleiden.

Den Weisungen des Propheten folgend, gibt es bei ihnen eine Ehe auf Zeit. So kann man sich kennenlernen und ausprobieren, ohne gleich das ganz große Geld, Gefühl oder Ehrenwort investieren zu müssen. Auch eine Ehe auf Zeit wird offiziell beglaubigt, mit Heiratspässen voller Fotos, Stempel und Unterschriften. Zeitdauer der Ehe und Höhe von Brautgeld bzw. Unterhaltszahlungen an die Frau sind frei verhandelbar, aber verhandelt werden müssen sie, bevor der Mullah seines Amtes waltet und die Brautleute auf Zeit ganz offiziell mit der Segensformel und einer eiligen Gratulation verbindet. Wofür natürlich auch wieder eine Gebühr fällig wird.

Für ihren Dokumentarfilm »Im Bazar der Geschlechter« ging die Exilperserin Sudabeh Mortezai mit einem jungen Mullah in die Videothek, wo er ihr, kenntnisreich und genau, diverse Filme zeigt, die alle von der Zeitehe handeln. Nur werde die nicht immer so genannt, sondern oft verschämt als »Verlobung« bezeichnet. Sein eigener Lehrmeister, in (religiösen) Würden ergraut, antwortet auf die Frage nach den genauen Regeln einer Ehe auf Zeit, für »gebrauchte«, sexuell bereits erfahrene Frauen, für Witwen und Geschiedene also, sei dazu kein besonderer Dispens nötig. Wenn es aber um Jungfrauen gehe, dann müsse unbedingt erst eine Erlaubnis eingeholt werden. Außer natürlich, sie seien bereits volljährig – eine Präzisierung, die er mit einer wegwerfenden Geste begleitet. Wer volljährig ist, hat seine besten Chancen auf eine reguläre Ehe ohnehin bereits hinter sich, scheint sie zu implizieren. Explizit setzt er noch hinzu, Frauen dürften ruhig Pilotinnen werden oder Atomphysikerinnen, solange sie einen züchtigen Schleier trügen.

Es sind überraschende Einblicke in die religiös sanktionierte Sexualmoral im Iran des Jahres 2008, die Mortezai und ihre auskunftsfreudigen Protagonisten vor der Kamera einem hier gewähren. Man könnte diese Tradition einer unverbindlichen Verbindlichkeit eingefleischte Heuchelei nennen oder auch praktische Weisheit. Natürlich geht sie vor allem zu Lasten der Frauen, denen oft nichts anderes übrig bleibt, als sich in dieser moralischen Grauzone anzusiedeln, um sich und ihre Kinder durchzubringen. Einer der Mullahs setzt sich vor laufender Kamera dafür ein, man möge alle zeitehewilligen Frauen doch zentral erfassen und ansiedeln, »in einem Haus«, das sich schon sehr nach Bordell anhört. Im Einklang mit dem Koran und der tradierten Lehre wäre das ohne weiteres, wie es scheint.

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