nd-aktuell.de / 04.08.2011 / Politik / Seite 5

»Ohne Alternative« und »Symbol des Scheiterns«

Nach dem Dokument der Historischen Kommission der LINKEN gibt es nun zwei weitere Papiere zum Mauerbau aus der Partei

Velten Schäfer
Neben den Thesen der Historischen Kommission der LINKEN (ND vom
Friedenssichernde Maßnahme? Bernauer Ecke Ackerstraße in Berlin, 23. August 1961.
Friedenssichernde Maßnahme? Bernauer Ecke Ackerstraße in Berlin, 23. August 1961.

9. Juli) gibt es zwei neue Papiere zur Mauer aus dem wahlkämpfenden Nordosten. Die Unterschiede zwischen den Positionen sind aber kleiner, als sie zunächst scheinen.

Für die Medien im Nordosten ist die Sache klar: Bei den Ewiggestrigen wird nach wie vor die Mauer »gerechtfertigt«. Allenthalben ist nun die Forderung zu hören, die Linkspartei müsse sich von der Mauer »distanzieren«. Diese Vorwürfe beziehen sich vor allem auf das Papier »Thesen zum 50. Jahrestag der Berliner Mauer«, das von 15 Landespolitikern unterzeichnet wurde – unter anderem von Arnold Schoenenburg, einst ZK-Mitarbeiter und danach langjähriger PDS-Politiker, vom aktuellen Kulturpolitiker Torsten Koplin, von den Parlamentarierinnen Barbara Borchard und Birgit Schwebs und von Gerd Walther, dem Vorsitzenden im Kreis Peene-Uecker-Ryck.

Erst im Juni ist das Mauer-Thesenpapier der Historischen Kommission der Partei fertig geworden. Und kurz davor hatte Nordost-Landeschef Steffen Bockhahn ein Diskussionspapier vorgelegt. Wie sehr unterscheiden sich die Positionen tatsächlich?

Trotz unterschiedlicher Sprachstile liegen die Dokumente näher beieinander, als man zunächst denkt. So wird etwa die Situation der SED-Führung im Jahr 1961 fast identisch analysiert: Laut Kommission »sah die Partei- und Staatsführung (...) keine andere Möglichkeit, der Flüchtlingsbewegung in die Bundesrepublik (...) Einhalt zu gebieten«; weiter unten heißt es unter Berufung auf das berühmte John F. Kennedy-Zitat, nach dem eine Mauer »tausendmal besser als ein Krieg« sei, die »sowjetische Führung und im Gefolge auch die DDR« hätten sich »auch« zur Grenzschließung entschlossen, um Schlimmeres zu verhindern. Im Schoenenburg-Papier liest man im Prinzip nichts anderes: »Der Mauerbau war eine zwingende Konsequenz aus der politischen und wirtschaftlichen Krise, die die akute Gefahr eines kriegerischen Konflikts in sich barg.« Und auch bei Bockhahn heißt es, die »offene Grenze zwischen DDR und BRD drohte erstere zu destabilisieren und damit die sowjetische Vormacht im östlichen Mitteleuropa. Dies konnte und wollte die sowjetische Führung 16 Jahre nach Kriegsende nicht akzeptieren«; bei Bockhahn fehlt allerdings der explizite Verweis auf eine Kriegsgefahr.

»Sah keine andere Möglichkeit«, »zwingende Konsequenz«, »konnte und wollte nicht akzeptieren«: die Unterschiede am eigentlichen Kernsatz scheinen zunächst überschaubar. Deutlicher werden die Differenzen, wenn Schoenenburg am dicksten von allen Varianten unterstreicht, die Initiative sei »letztlich von Chruschtschow ausgegangen«.

Was das Kommissions- und das Schoenenburg-Papier darüber hinaus unterscheiden könnte, sind die wertenden Passagen. Wo bei der Kommission festgehalten wird, die »Idee des Sozialismus« sei durch die Mauer »missbraucht und diskreditiert worden«, »instrumentalisieren« bei Schoenenburg die »Nutznießer und Verteidiger des kapitalistischen Systems« den Mauerbau ohne eine solche Vorrede. Allerdings sieht auch Schoenenburg »autoritären Staatssozialismus, die Konzentration der Macht in den Händen der SED, (...) die politische Entmündigung der Bürger und die Gängelei bzw. Kriminalisierung Andersdenkender« als »grundlegende Probleme des Gesellschaftssystems in der DDR«, die sich auch im Mauerbau manifestiert hätten.

Die Unterscheidung zwischen »Erneuerern« und »Traditionalisten«, die die drei parallelen Papiere nahelegen, scheint am Ende konstruiert. Schon die Unterschiede zwischen Schoenenburg und der Kommission betreffen eher den Stil als den Gehalt. Zur Hauptsache aber geht es dem Schoenenburg-Papier um eine Absetzung von Bockhahn, dessen Thesen man sein Geschichtsstudium in den 2000er Jahren anmerkt: Für Bockhahn gibt es nicht eine objektive, sondern viele subjektive Geschichten, für Schoenenburg »die geschichtliche Wahrheit«.

Am Ende könnte es dieser, von Bockhahn sehr forsch formulierte historiografische Grundsatz sein, der so sehr zum Widerspruch reizt. Und natürlich die unterschiedlichen Parteilager: Das Schoenenburg-Papier funktioniert wohl zuförderst auch als Plattform gegen den selbstbewussten Landesparteichef, der das Lager um Koplin, Schwebs und Borchardt gerade in jüngster Zeit entscheidend zurückgedrängt hat.