nd-aktuell.de / 05.08.2011 / Politik / Seite 13

Asylbewerber falsch behandelt

Thüringer Ärzte ziehen erhaltenswerte Zähne

Zähne ziehen statt behandeln – so endet nach Informationen der Thüringer SPD-Fraktion für viele Asylbewerber der Zahnarztbesuch. »Körperverletzung«, sagen Abgeordnete und fordern ein Einschreiten der Thüringer Landesregierung.

Erfurt (dpa/ND). Asylbewerber in einigen Thüringer Landkreisen werden nach Ansicht des SPD-Landtagsabgeordneten Thomas Hartung falsch behandelt. Aus Kostengründen würden ihnen lieber Zähne gezogen als teure Wurzelbehandlungen angeboten, kritisierte Hartung am Donnerstag in Erfurt. Die Verantwortung dafür liege aber weniger bei den Zahnärzten als bei den Sozialämtern, die die Kosten für medizinisch angebrachte Leistungen in einigen Kreisen scheinbar nicht übernähmen. »Das wird oft von Nicht-Zahnärzten – und daher nicht nach medizinischen, sondern finanziellen Kriterien – beurteilt«, kritisierte Hartung.

Auffällig seien die großen Unterschiede in den einzelnen Thüringer Landkreisen. So werden einer Antwort auf eine Landtagsanfrage zufolge im Kreis Hildburghausen neun von zehn behandelten Zähnen eines Asylbewerbers gezogen. Auch im Altenburger Land konnte jeder zweite behandelte Zahn nicht gerettet werden. Im Kyffhäuserkreis dagegen wurden 105 Zähne behandelt und kein einziger gezogen. »Es muss einen Grund geben, dass die Menschen in bestimmten Regionen anders behandelt werden«, sagte Hartung. »Es ist unwahrscheinlich, dass die Asylbewerber dort so viel schlechtere Zähne haben als anderswo.« Wahrscheinlicher sei, dass die Ärzte hier teure Behandlungen nicht abrechnen könnten und auf den Kosten sitzen blieben.

Bereits in der Vergangenheit habe es Differenzen zwischen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) und den Sozialämtern gegeben, die sich weigerten, erbrachte Leistungen zu begleichen. Dabei stehe den Asylbewerbern eine »ordentliche Behandlung« zu, betonte Hartung. In Paragraf 4 des Asylbewerbergesetzes ist festgelegt, dass Kosten für die Behandlung akuter Schmerzen übernommen werden müssen. Wird dennoch ein Zahn gezogen, muss der Betroffene aber mit der Lücke leben. Denn dasselbe Gesetz besagt auch: »Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.«

Das Ziehen von behandelbaren Zähnen sei eine »systematische Körperverletzung«, die »offenkundig durch öffentliche Behörden begünstigt« werde, erklärte die Grünen-Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich. Innenminister Jörg Geibert (CDU) müsse diesen »permanenten Rechtsbruch« schnellstens beenden. Auch die Linksfraktion forderte eine Besserung der »menschenunwürdigen medizinischen Versorgung von Flüchtlingen«.