Immer für alle

Kommentar von Markus Drescher

Im Fernsehen gehören Polizisten, die mal härter zulangen, um an Informationen zu gelangen zum Inventar vieler Krimis: Ein paar Drohungen, Schläge, der Verdächtige redet, der Fall wird gelöst. An dieser Stelle müsste es aber eigentlich weitergehen: Ermittlungen gegen den Polizisten, Verurteilung wegen Körperverletzung, Entschädigung des Betroffenen. Für Unterhaltung am Feierabend zu differenziert, im Farbfernsehen funktioniert die Welt gerne nach dem Geschmack des Zuschauers im Schwarz-Weiß-Schema. Bevor es grau wird, ist der Film zu Ende.

In der Realität jedoch, das macht das Urteil der Richter in Frankfurt am Main klar, darf es nicht darum gehen, ob das Publikum am Ende zufrieden ist. Viele werden es nicht sein mit dem Richterspruch. Sie werden nicht verstehen, warum Magnus Gäfgen, einem verurteilten Kindermörder, eine Entschädigung zugestanden wird, weil er von einem Polizisten bedroht wurde, der so versucht hatte, das Leben des Entführungsopfers zu retten.

Die Antwort auf das Warum lautet: Rechtsstaat. Und in dem ist auch der schlimmste Verbrecher im Besitz der im Grundgesetz festgeschriebenen unveräußerlichen Rechte. Ohne Ansehen seiner Taten, ohne Möglichkeit diese zu verlieren, ohne Ausnahme. Für die Rechtsprechung müssen Paragrafen zählen, Gerichte müssen differenzieren zwischen dem, was Gäfgen getan hat, und dem, was andere mit ihm getan haben. Für das Bauchgefühl, das in der grauen Realität – ein Mörder wird entschädigt, weil er bedroht wurde, um ein Kind zu retten – nach Eindeutigkeit sucht, ist das schwer verdaulich. Es ist der Preis dafür, dass jeder Bürger und jede Bürgerin sicher sein kann, dass das Grundgesetz immer für alle gelten muss.

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