Nippons Zweifel am »gebändigten Atom«

Der GAU bewirkt früher Unvorstellbares

  • Lesedauer: 2 Min.
Japans Strategie, auf das »gebändigte Atom« zu setzen, das für rund ein Drittel der nationalen Stromproduktion sorgte, schien nie in Frage gestellt. Erst Fukushima hat die alte Ordnung auf den Kopf gestellt.

Bei der Vergabe eines Literaturpreises in Barcelona warnte Haruki Murakami, einer der einflussreichsten japanischen Autoren der Gegenwart: »Japaner sind äußerst geduldige Menschen und nicht gut im Wütendsein. Jetzt aber werden sie sehr wütend.« Murakami ging mit Japans »Technologiemythos« hart ins Gericht. Gerade das Japan von Hiroshima »hätte immer nein sagen müssen zu Atomenergie«.

Doch in der Verkleidung wirtschaftlichen Segens hatte das scheinbar gezähmte Atom seinen Schrecken verloren. Der GAU von Fukushima könnte ein Wendepunkt sein. Selbst die konservative Opposition der Liberaldemokraten geht auf Distanz zur Atomlobby, für die sie bislang so standhaft eintrat. Und Ministerpräsident Naoto Kan, so umstritten er sein mag, wagte es, Japans Abhängigkeit von Atomenergie in Frage zu stellen. Gerade erst platzte ihm wieder der Kragen, weil die Behörde für Nukleare Sicherheit NISA öffentlich für Atomkraftwerke werben ließ – eben jene Kontrollbehörde, die die Sicherheit der Anlagen zu verbürgen hat.

Früher unvorstellbare Umwälzungen sind in Gang. Japaner organisieren sich mittels Facebook gegen Atomkraft. Zulauf erhalten die Gruppen durch verängstigte Konsumenten, die Lebensmittel wie Gemüse, Fleisch und Fisch meiden – aus Angst vor Verstrahlung. Bürger kaufen eigene Geigerzähler, weil sie den offiziellen Messwerten nicht trauen. Und die Japaner zeigen sich bereit, auf Komfort zu verzichten: Stromsparen ist zur nationalen Bewegung geworden, und dies während der schwülen Sommermonate, wenn Klimaanlagen sonst für Rekordverbrauch sorgen. Tokio hat diesen Sommer bisher 23 Prozent weniger Strom verbraucht als im Vorjahr. Selbst der Kaiser und die Kaiserin, hieß es aus dem Palast, hätten schon einen Abend bei Kerzenlicht und mit der Taschenlampe verbracht.

Eröffnet Fukushima gar eine neue Zukunft? Panasonic und Sharp wollen gemeinsam Häuser mit Solarzellen entwickeln, die ausreichend Energie produzieren und überschüssigen Strom ins Netz einspeisen. Wirtschaftsführer investieren in erneuerbare Energien.

Derweil ergaben jüngste Messungen in den Reaktorgebäuden des Katastrophen-AKW Rekordwerte. Betreiber Tepco aber beschwichtigt: Die Umgebungswerte seien stabil, die Sicherung der Anlagen gehe planmäßig voran. D.K.

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