Gewiss keine 74 Punkte

Aufsteiger Hertha BSC muss den Spagat zwischen Vorfreude und Fan-Erwartungen meistern

  • Christian Heinig
  • Lesedauer: 3 Min.

Markus Babbel ist einer, der Wort hält. Das ist seit diesem Sommer amtlich, seit er sich dieses ominöse Tattoo hat stechen lassen, das er beim Amtsantritt als Berliner Trainer vor einem Jahr angekündigt hatte, für den Fall, dass die sofortige Rückkehr in die Bundesliga glückt. Linker Oberarm. Ein riesiger Wikinger, darüber der Schriftzug »Hertha BSC«, eingebettet in eine verschnörkelte Fahne. Man kann das modisch finden, man kann es kitschig finden, man kann es auch als nichtig erachten. In jedem Fall ist es gelebte Identifikation. Es sagt, dass Babbel gern Herthaner ist, und es sagt, tattoomäßig betrachtet, dass er wohl auch gern länger Herthaner bleiben will.

Sehen konnte man das gute Stück im Übrigen nicht, als Babbel sich am Donnerstag im Presseraum des Klubs einfand, um mit der Schar von gut 40 Hauptstadtreportern und Manager Michael Preetz über die neue Saison zu plaudern. Der Grund: Babbel trug Pulli, dafür gewährte er umfassende Einblicke in seine sportliche Gedankenwelt. Babbel sprach von »Vorfreude« mit Blick auf das Auftaktspiel am Sonnabend im Olympiastadion gegen den 1. FC Nürnberg. Er sprach davon, dass es für Hertha von nun an gelte, sich in der Bundesliga »zu etablieren«.

Zufällig ist diese Wortwahl nicht. Hertha, vor Jahresfrist 14 Jahre in Folge Mitstreiter der Eliteliga, fängt nun wieder ganz unten an. Man hat sich Bodenständigkeit verordnet. Als erklärtes Ziel gelte der »Nichtabstieg«, so Babbel, und »der Pokalsieg«, wie er scherzhaft hinzufügte, »dann haben wir auch etwas in der Hand«.

Über Jahre hinweg hat die Hauptstadt mit Hertha BSC gefremdelt, derzeit, so scheint es, haben sich beide lieb. Das hat vor allem die ungeliebte Runde in der Zweiten Liga gezeigt. Über 46 000 pilgerten in der Vorsaison im Schnitt zu den Heimspielen ins Olympiastadion, obwohl die Gegner nicht mehr Dortmund und Bayern hießen, sondern Paderborn und Bielefeld. Nun erwartet man zum Saisonstart 60 000 gegen Nürnberg, so viele kamen zu einem Auftaktspiel zuletzt vor zehn Jahren, damals gegen Dortmund.

Manager Michael Preetz dürfte bewusst sein, dass die Fans in Berlin traditionell viel erwarten. Nicht wenige träumen längst wieder davon, um Europapokalplätze zu spielen. Interessant wird zu beobachten sein, ob die Zuneigung der Anhänger wieder abebbt, wenn es sportliche Rückschläge gibt. Preetz sagt dazu lediglich: »Die 74 Punkte, wie in Liga zwei, werden wir gewiss nicht wieder holen.«

Um sportlich in der Bundesliga mithalten zu können, hat Hertha vier erstligaerprobte Neuzugänge verpflichtet. Alle sind ablösefrei gekommen, was der klammen Klubkasse zugute kommt, in der nach wie vor ein Altschuldenloch von 31 Millionen Euro klafft. Die Neuen sind Torhüter Thomas Kraft (ehemals FC Bayern), Abwehrrüpel Maik Franz (Eintracht Frankfurt), Mittelfeldmalocher Andreas Ottl (FC Bayern) und Sturmwirbler Tunay Torun (Hamburger SV).

Fragt man Markus Babbel, wie er die Spielstärke seiner Mannschaft einschätzt, weicht er aus. »Nach fünf bis sechs Spielen wissen wir, wo wir stehen«, sagt der gebürtige Münchner. Weder der Test gegen Real Madrid (1:3), noch das 4:0 gegen Regionalligist ZFC Meuselwitz in der ersten Runde des DFB-Pokals hätten sich als Orientierungspunkte geeignet. »Die kommen jetzt erst, unter Wettkampfbedingungen«, so Babbel, »jetzt ist der Druck da, jetzt geht es um Punkte.« Heute sind es immerhin maximal drei. Das große Sammeln beginnt.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal