Triebkräfte im Börsenchaos

  • Rudolf Hickel
  • Lesedauer: 3 Min.
»Die Erschütterungen vollziehen sich nicht in einem von ökonomischen Interessen freien Raum.«
»Die Erschütterungen vollziehen sich nicht in einem von ökonomischen Interessen freien Raum.«

Ein Gespenst ist nicht gebannt: die Angst vor dem großen Börsencrash. Selbst normalerweise zurückhaltende Medien berichten aufgeregt von der Gefahr einer neuen Weltwirtschaftskrise. Mit der Behauptung, allein in der ersten Woche der massiven Kursverluste seien an den Aktienmärkten 2,5 Billionen US-Dollar vernichtet worden, wird ein Klima der Panik forciert. Dabei gibt es realwirtschaftlich für die meisten DAX-Unternehmen keinen Anlass zu derart rasanten Kursverlusten.

Analysten glänzen wieder einmal eher durch Nichtwissen. Hoch komplexe Chartanalysen erweisen sich als »Kaffeesatzleserei«, Aufklärung bringen sie nicht. Was fehlt, ist der Mut zur Beschreibung der Triebkräfte im scheinbaren Börsenchaos. Diese werden durch milliardenschwere Hedge- und Investmentfonds in Gang gesetzt, die mit Leerverkäufen auf den erhofften Kursabsturz von Wertpapieren wetten oder mit lukrativen Kreditausfallversicherungen (CDS) auf die Zahlungsunfähigkeit immer neuer Krisenstaaten spekulieren.

Dahinter verbirgt sich ein gezielter Angriff, der auch ohne Kommandozentrale funktioniert. Vielmehr geht es um ein gleichgerichtetes, renditegetriebenes Verhalten im Klima der Krise. Die Spekulationskampagne spülte riesige Gewinne in deren Kassen und verängstige sogar Großbanken wie die Deutsche Bank, die nach den Basel-II-Sicherheitsregeln zum Verkauf ihrer italienischen Staatsanleihen veranlasst wurden. Die Fonds kassieren die in die Höhe getriebenen Prämien der CDS. Zu der Attacke gehört auch die Kalkulation, dass die verschreckte EU nicht weiß, ob sie Italien am Ende durch Ausweitung des Rettungsfonds auffangen soll.

Deutlich wird: Die bedrohlichen Erschütterungen des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus vollziehen sich nicht in einem von ökonomischen Interessen freien Raum. Letztlich setzen in der Anonymität der Börsen und durch Ausnutzung der völlig unkontrollierten Geschäfte außerhalb der Börsen die Finanzoligopole ihre Geschütze ein. Politik, Gesellschaft aber auch die Produzenten ökonomischer Werte werden über beängstigende Kursverluste in Geiselhaft genommen. Zugleich nutzen die Spekulanten die verbreiteten Ängste wegen der horrenden Staatsschuldenstände geschickt aus.

Nach dem Börsencrash, der 1929 zur Weltwirtschaftskrise führte, wurde mit einer intensiven Regulierung der Finanzmärkte reagiert. Die Börsenaufsicht sowie die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken wurden geschaffen. Trotz vollmundiger Ankündigungen ist der Kampf gegen die schlimmsten Auswüchse der jüngsten Finanzmarktkrise ausgeblieben. Leerverkäufe wurden nicht auf Dauer verboten, Kreditausfallversicherungen nicht reguliert und Hedgefonds und die aus den Banken ausgelagerten Zweckgesellschaften wachsen zu unkontrollierten Schattenbanken heran. Das Rating-Triopol wirkt mit der Absenkung der Noten ganzer Staaten als Brandbeschleuniger.

National und international muss die Hegemonie der strategischen Finanzfonds und der Ratingagenturen gebrochen werden. Dazu dienen Regulierungen gegenüber den Schattenbanken, eine Verhaltenskontrolle der Finanzmanager und das Verbot ökonomisch schädlicher Spekulationsinstrumente. Dem Ziel der Führungsrolle der Politik im Prozess der Globalisierung dient auch die weltweite Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Und die EU muss endlich eine gemeinsam verantwortete Politik entgegensetzen. Dazu gehört auch eine ernsthafte Strategie zur Sanierung der Länder in der Staatsschuldenkrise – durch Stärkung der Wirtschaftskraft.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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