nd-aktuell.de / 16.08.2011 / Gesund leben / Seite 17

Nicht ohne meine Wasserflasche

Wie viel Flüssigkeit sollte ein gesunder Mensch täglich zu sich nehmen?

Martin Koch
Der menschliche Körper besteht zu über 50 Prozent aus Wasser. Wir müssen daher regelmäßig trinken, um nicht auszutrocknen. Wie groß jedoch die Menge der zugeführten Flüssigkeit sein soll, ist unter Experten umstritten.

Soweit ich mich erinnere, hatte ich als Kind fast immer Durst. Denn weder vor noch nach dem Essen gab es etwas zu trinken. Und auch sonst stand gewöhnlich nur lauwarmer Tee als Getränk bereit und nicht die von mir begehrte kalte Limonade. Die sei schädlich für den Magen, belehrten mich meine Eltern, die ebenfalls sehr sparsam mit Getränken umgingen.

Tatsächlich war in den 50er und 60er Jahren die Meinung verbreitet, dass der Mensch so wenig wie möglich trinken solle, um Kreislauf und Verdauung zu schonen. Das galt natürlich auch für Sportler, die man während des Wettkampfs dazu anhielt, den Mund mit Wasser nur auszuspülen, da sie nach dem Verzehr desselben müde und kraftlos würden.

Später änderte sich die Situation grundlegend. Plötzlich hieß es, dass ein Mensch eigentlich gar nicht genug trinken könne. Zur Begründung dienten Aussagen von Wissenschaftlern, wonach die minimale Trinkmenge für einen Erwachsenen täglich bei rund zwei Litern bzw. acht Gläsern Wasser liege. Und dabei wurde der morgendliche Kaffee gar nicht mitgezählt.

»Es gibt im Grunde keinen empirischen Beweis dafür, dass ein Mensch so viel Wasser benötigt«, erklären die US-Mediziner Rachel Vreeman und Aaron Carroll in der Fachzeitschrift »British Medical Journal«. Als Quelle für die Acht-Gläser-Empfehlung führen die Forscher ältere Studien an, deren Autoren es leider versäumt hätten, das auch in Nahrungsmitteln wie Obst, Gemüse, Suppen, Eis oder Kaffee enthaltene Wasser in ihre Rechnung einzubeziehen. Nur wenn man all diese Anteile ignoriere, komme man auf die genannte Mindestzahl von acht Gläsern Wasser täglich.

Überhaupt ist die benötigte Flüssigkeitsmenge von Mensch zu Mensch verschieden und hängt ab von der Körpermasse, der Konstitution, dem Grad der körperlichen Aktivität sowie den klimatischen Bedingungen. So kann an sehr heißen Tagen der Wasserbedarf schon mal auf vier Liter steigen. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten, weil – und das ist kein Witz – im Extremfall eine Wasservergiftung (Hyperhydration) droht. Eine solche entsteht, wenn die ausgeschwitzten Salze durch das Trinken von salzarmer Flüssigkeit nur höchst unzureichend ersetzt werden. Es kann dann zu Erbrechen und Übelkeit, aber auch zu Organschäden kommen. 2007 ist eine Frau in den USA nach einem Wasserwetttrinken an Hyperhydration gestorben!

Ein gesunder Mensch sollte täglich 1,5 Liter Flüssigkeit zu sich nehmen, rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Und das am besten über mehrere Stunden verteilt. Damit werden alle Wasserverluste ausgeglichen, die durch Atmen, Schwitzen und Urinieren entstehen. Drei oder gar vier Liter am Tag wären demnach unnütz. Aber sie schaden auch nicht, sofern man sie nicht auf einmal trinkt.

Ansonsten hat uns die Natur mit einem wirkungsvollen Warnmechanismus ausgestattet: dem Durstgefühl, das sowohl bei Flüssigkeitsmangel als auch bei Salzüberschuss auftritt. Schon wenn der Wasseranteil des Körpers um 0,5 Prozent sinkt, signalisiert das Gehirn Durst. Bei einem Verlust von 10 Prozent trocknet überdies der Mund aus und es treten gelegentlich Sprachstörungen auf. Spätestens dann sucht jeder verzweifelt nach etwas Trinkbarem – getreu der alten Seemannsweisheit: »Durst ist schlimmer als Heimweh.«

Im Alter jedoch funktioniert dieser Warnmechanismus nicht mehr richtig. Das heißt: Ältere Menschen verspüren selbst bei größeren Flüssigkeitsverlusten oftmals keinen Durst. Sie sollten daher regelmäßig und auch ohne Verlangen trinken, um einer Austrocknung ihres Körpers vorzubeugen. Ob die Gefäße und Gewebe eines Menschen noch genügend Wasser enthalten, lässt sich übrigens provisorisch feststellen: Man zieht eine Hautfalte über dem Schlüsselbein, die bei akutem Wassermangel »stehen bleibt«.