Notizen aus Venedig

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Uri Geller musste einmal nach Venedig kommen. Darin ist er wie der »Weiße Hai« – immer mit sicherem Instinkt für gut vermarktbaren Grusel. Irgendwann machte das Löffel-Verbiegen nicht mehr so sehr viel Quote, so dass sich der berufsmäßige Hellseher nach anderen Betätigungsfeldern umsah. Das Thema Außerirdische ist auch schon absolviert, da liegt Venedig nahe. Warum auch nicht, jeder zweite deutsche Fernsehkommissar hat sich inzwischen eine italienische Stadt gesucht, Venedig war zweifellos am begehrtesten, schon wegen Donna Leon.

Geller ist ein Medienprofi und weiß: Zeit ist Geld. Darum geht das mit dem Venedig-Horror bei ihm wie bei einer Gespensterbahnfahrt: Hauptsache schnell. Man bezahlt Eintritt und ist schon wieder draußen. Vier Tage reichen für einen erschöpfenden Geller-Dreh in Venedig. Er formuliert das sendungsbewusst: »Venedig ruft nach mir«. Bei ihm kann man sich sicher sein, dass er das wörtlich meint, er hört nämlich auch Stimmen.

Vor allem ein Haus soll das Geisterreich Venedig beweisen: Ca' Dario. Eine unschuldige Villa am Canal Grande wie so viele andere, gleich neben dem Guggenheim-Museum. Im Moment wird sie renoviert und ist mit Planen verhängt. Das Haus ist verflucht!, spricht Geller sein Urteil. Das mag ärgerlich sein für das Haus (und seine Eigentümer), denn es gibt mehr Menschen, die Geller beim Wort nehmen, als man denkt. Seine Erklärung für den Dämon des Hauses ist allerdings verblüffend:

»Jeder, der das Haus gekauft hat und dort gelebt hat, ist gestorben.« Mich würde eher der umgekehrte Fall verwundern: wenn die Bewohner ihre Häuser überleben würden!

Geisterseher Geller übt sich als Aufklärer. Das sind jedesmal skurrile Situationen, bei denen wir ihn begleiten. Da läuft einer mit angstverzerrtem Gesicht durch die Gassen, fühlt sich bedroht und mutmaßt, die Venezianer wollen ihm ihre dunklen Geheimnisse nicht verraten. Das ist Geller, allzeit telegen-psychopathisch.

Schließlich, zum Höhepunkt der Geisterseherexpedition, ist er drin im Palazzo Ca' Dario, den sich der Sekretär des Dogen Giovanni Dario 1488 bauen ließ. Draußen ziehen dunkel drohende Wolken vorüber, unheilvolle Töne erklingen. Bevor er dann mit dem Ruf: »Ich muss hier raus!« das Weite sucht, zieht er zwischen zwei Ofenkacheln zielsicher das Foto mit einem Toten, oder einem Untoten (wer weiß das schon so genau?) hervor. Selber Schuld, wer Geller in seinem Haus nach bösen Geistern suchen lässt. Er findet immer welche, garantiert. Nur wo bleibt der Geist bei all den Geistern?

Gellers Geschichte des Ca' Dario hat schon Eingang in Reiseführer gefunden, so in Thomas Jonglez' und Paolo Zoffolis »Verborgenes Venedig«. Da werden die Eigentümer des Palazzo der letzten fünfhundert Jahre aufgezählt und wie vorauszusehen: sie sind alle tot. Wenn das kein Fluch ist. »Ein tödlicher Palast« heißt es nun – und als Hauptzeuge des Fluchs wird Christoph Lambert, der Manager der Rockgruppe The Who genannt, der 1981, kurz

nach dem Kauf des Palazzos, plötzlich tot umfiel. Vielleicht hatte er sich nur in den Renovierungskosten des alten und feuchten Gebäudes verschätzt?

Aber das Wasser, das hier überall ist, weckt tatsächlich eine surreale Art von Fantasie. Das ist wie bei Seeleuten, die sind immer abergläubisch. Der beste Venedig-Film »Wenn die Gondeln Trauer tragen« von Nicolas Roeg spielt mit echter Magie und faulem Zauber. Von beidem gibt es in dieser beharrlich auf dem Wasser schwimmenden Stadt reichlich.

Dämonen gibt es tatsächlich, besonders in Kanalnähe. Jede Nacht werde ich von ihnen gefoltert: unzählige Mücken, hinterhältige Vampire. Sie kommen, wenn man schläft. Nachdem mir der Gebrauch von »Off« aus dem venezianischen »Billa« im vergangenen Jahr psychedelische Nebenwirkungen bescherte und ich nahe daran war, Uri Geller für einen kühlen Rationalisten zu halten, setzte ich dieses Nervengift ab, auf das ich anscheinend stärker reagierte als jedes Insekt.

Dieses Jahr habe ich zwei konkurrierende Produkte aus Berlin mitgebracht. Das erste in der grünen Flasche riecht sehr gut, das finden die Mücken auch. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Das zweite in der orangen Flasche ist von seiner Wirkung eher komplex. Jeden Morgen erwache ich, nach Anwendung des Mittels am Abend zuvor, völlig zerstochen – aber im Bett liegen außer mir immer auch mehrere tote Mücken. Ein Fall für den Mülleimer, die Ethikkommission oder gar für Uri Geller?

(Fortsetzung folgt)

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