nd-aktuell.de / 20.08.2011 / Politik / Seite 5

Der Bambus verbiegt sich im Sturm

FDP-Chef Philipp Rösler will sich nach 100 nutzlosen Tagen nicht nervös machen lassen

Claus Dümde
Am Sonntag ist Philipp Rösler 100 Tage FDP-Chef. »Ab heute wird die FDP liefern«, tönte er nach seiner Wahl. Bei den Bürgern ist freilich nichts angekommen. Daher könnte der FDP bei den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern das parlamentarische Aus drohen.

In seiner Rede nach der Wahl blieb der neue FDP-Chef vage, wie er die Partei, die im Herbst 2009 mit dem Versprechen von Steuersenkungen mehr Wähler denn je köderte, aber seither die meisten Anhänger wieder verlor, zurück über die 5-Prozent-Hürde führen will. Der »nette Herr Rösler«, wie sich der als Adoptivkind in Deutschland aufgewachsene Vietnamese selbstironisch nannte, zeigt neuerdings Nerven. So vor einer Woche im ZDF-Sommerinterview. Fragesteller Thomas Walde hatte die »100-Tage-Schonfrist« für Politiker in neuen Ämtern vorzeitig für beendet erklärt, dem neuen FDP-Chef auch unbequeme Fragen gestellt, so zu fehlender Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der Union, zum Unvermögen der Koalition bei der Beruhigung der Eurokrise, und Rösler fehlende Führung vorgeworfen, weil er die FDP-Europaabgeordneten Koch-Mehrin und Chatzimarkakis, denen wegen Plagiats der Doktortitel aberkannt wurde, nicht zum Mandatsverzicht bewogen hat. Als sich der Interviewer mit Politikerfloskeln nicht abspeisen lassen wollte und nachhakte, redete Rösler einfach weiter und spulte seine Sprüche ab, zwar lächelnd, aber spürbar genervt.

»Der Bambus wiegt sich im Wind und biegt sich im Sturm, aber er bricht nicht«, hatte Rösler noch als Bundesgesundheitsminister getönt. Da hatte er sein Kopfpauschalen-Konzept in der Krankenversicherung gegen den Widerstand der CSU nur über den Umweg der Beitragssatz-Festschreibung bei gleichzeitiger Einführung unbegrenzter Zusatzbeiträge durchsetzen können – mit dem gleichen Effekt, dass nur die Versicherten die Zeche zahlen. Als Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister musste sich der neue FDP-Chef dann allerdings schon mächtig verbiegen, um den in der Koalition von Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble durchgesetzten Kurs als FDP-Politik zu verkaufen.

Am deutlichsten wurde das an der Forderung nach Steuersenkungen, die Rösler noch beim Rostocker Parteitag von seinem Vorgänger Guido Westerwelle übernommen hatte, obwohl sie selbst FDP-Wähler für unrealistisch halten. Immerhin ist seit den Milliardenhilfen für deutsche Pleitebanken und den noch höheren Garantieversprechen für Kredite an vor der Zahlungsunfähigkeit stehende Euro-Staaten die Staatsverschuldung enorm angestiegen. So verlangte Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki eine ehrliche Steuerdebatte: »Es müssen Milliardenschulden abgebaut werden, da können wir nicht gleichzeitig mit der Forderung auftreten, das Steuerniveau insgesamt abzusenken. Bis 2020 geht da wohl gar nichts«, sagte er.

Rösler aber nötigte seinen Koalitionspartnern einen vagen »Grundsatzbeschluss« auf, dass 2013, im Jahr der nächsten Bundestagswahl, die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen steuerlich entlastet und Sozialversicherungsbeträge gesenkt werden sollen. Ob dann dafür finanzielle Spielräume vorhanden sind, steht in den Sternen.

Rösler macht einfach in Zweckoptimismus: »Aufgrund des enormen Wachstums können wir die Haushalte konsolidieren und die Menschen entlasten«, behauptete er im ZDF-Interview. Als zwei Tage später das Statistische Bundesamt meldete, die Wirtschaft sei im Quartal gegenüber dem ersten nur noch um 0,1 Prozent gewachsen, forderte er per Presseerklärung: »Deutschland braucht jetzt klare politische Signale zur Verstetigung des Wachstums.« Dazu seien »weitere Reformen notwendig«. So eine »Absenkung der Gehaltsschwelle«, um den Fachkräftemangel in vielen Bereichen zu reduzieren, und natürlich Steuersenkungen sowie eine Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge ...

Dazu passt die jüngst von FDP-Generalsekretär Christian Lindner erhobene Forderung, die erst von der CDU/CSU-SPD-Koalition angehobene Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Erwerbslose zu kürzen. Wenn das der »mitfühlende Liberalismus« ist, den die jungen Leute der neuen FDP-Führung versprochen hatten, wundert es nicht, dass die Partei weiterhin in Umfragen zwischen drei und vier Prozent dümpelt.

Die FDP habe für Fragen, die die Menschen bewegen, keine vernünftigen und verständlichen Antworten, konstatierte Wolfgang Kubicki kürzlich in einem Interview. »Wir lavieren statt zu führen, von der Euro-Krise über die Rolle Deutschlands in der Welt bis hin zum demografischen Wandel, zur Steuerpolitik und zur Bildungspolitik«, meinte er. Doch Rösler geht über solche Kritik hinweg: »Man darf sich nicht nervös machen lassen.« Dem Vorwurf auch aus der eigenen Partei, dass sie – anders als in Rostock versprochen – bislang noch nicht »geliefert« hat, hielt er neben der Bundeswehrreform auch das jetzt im Kabinett beschlossene »Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz« entgegen, das den Geheimdiensten noch mehr Befugnisse gibt. Die Innere Sicherheit gehöre ja zum »Markenkern« der Liberalen, befand Rösler. Da hat sich der Bambus mal wieder was zurechtgebogen. Selbst in Röslers Rostocker Rede waren das noch die Bürgerrechte.