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Winzig, aber nicht ohne Wirkung

Sondergutachten fordert vorsorglichen Umgang mit Nanomaterialien

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Nanomaterialien stehen schon heute für viele innovative Anwendungen bei Konsum- und Industriegütern. Ein Sondergutachten zum vorsorglichen Umgang mit den Risiken der neuen Technologie legte gestern der Sachverständigenrat für Umwelfragen in Berlin vor.

Nanopartikel sind so winzig, dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann. Ein Nanometer ist der milliardste Teil eines Meters. Nano-Silber soll verhindern, dass Socken und T-Shirts nach Schweiß riechen, kleinste Teilchen Titanoxid stecken in Sonnenschutzmitteln, feinster Goldstaub sorgt für saubere Raumluft.

Trotz einer ganzen Reihe von Anwendungen in Konsumprodukten stehen Nanomaterialien erst am Beginn einer großen Karriere. In Autoindustrie oder Luftfahrt können sie den Strömungswiderstand senken, Oberflächen wären durch dünne Beschichtungen leichter zu reinigen. Auf eine Billion Euro wird der weltweite Umsatz der Nanowirtschaft für 2015 geschätzt. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage nach den Risiken der neuen Technologie.

Aus diesem Anlass erarbeitete der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ein Sondergutachten mit dem Titel »Vorsorgestrategien für Nanomaterialien«, das gestern in Berlin Umweltminister Röttgen überreicht wurde. Darin plädiert der Rat, ein seit 1972 bestehendes Gremium von Wissenschaftlern, für die systematische Erfassung der Risiken von Nanomaterialien sowie für Nachbesserungen im Chemikalien- und Produktrecht. Zu diesem Gutachten entschloss sich der SRU, obwohl es, so die Toxikologin Heidi Foth von der Universität Halle-Wittenberg, für mögliche Risiken eher noch ein großes Informationsdefizit gibt. Pauschale Urteile, ob die neue Technologie generell unerwünschte Wirkungen zeige, seien noch nicht möglich. Aber es gebe erprobte Bewertungs- und Testmodelle für Chemikalien oder Medikamente, die hier ebenfalls anwendbar wären. Das ist bisher jedoch kaum geschehen, und eine der Ursachen dafür liegt in der noch fehlenden verbindlichen Definition. Solche Regelungslücken müssen geschlossen werden, dazu sollte die Bundesregierung auch im EU-Maßstab die Initiative ergreifen.

Zu den Handlungsempfehlungen des Rates gehört an erster Stelle, den Anteil der Risikoforschung an der Entwicklung von Nanomaterialien zu stärken. Hersteller müssten aussagekräftige Daten zu den möglichen Gefahren ihrer Produkte vorlegen. Heidi Foth nannte hier das Eindringen der Partikel in den menschlichen Organismus, deren Verbleib und Anreicherung sowie die Frage, ob die Teilchen Schäden auslösten. So stehen winzige Kohlenstoffröhrchen, die schon heute vielen Kunststoffen zugesetzt werden, unter Verdacht, zur Entstehung von Tumoren beizutragen. Zu untersuchen seien auch die Folgen des Eintrags von Nanomaterialien in die Umwelt, in Böden und Gewässer.

Weiterhin schlägt der SUV vor, ein Produktregister für Nanomaterialien einzuführen, außerdem mit einer Kennzeichnungspflicht den Verbrauchern Wahlfreiheit zu schaffen. Widerstand dagegen ist etwa aus der Chemieindustrie zu erwarten, die schon vor der Belastung durch eine »doppelte« Kennzeichnung – als Chemikalie und als Nanoprodukt – warnte. Aus SUV-Sicht müsste auch ein Zulassungsverfahren entwickelt werden. Für Kosmetikprodukte mit Nanopartikeln gebe es auf europäischer Ebene schon erste Schritte dahin, so der Berliner Rechtswissenschaftler Christian Calliess. Im EU-geregelten Chemikalienrecht seien allerdings umfassende Änderungen nötig, am besten mit einer eigenständigen Stoffgruppe Nanomaterialien.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) reagierte auf das Gutachten mit der Forderung an Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die Verwendung von Nano-Silber in verbrauchernahen Anwendungen umgehend zu verbieten.

www.bund.net/nanoproduktdatenbank

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