nd-aktuell.de / 12.09.2011 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 10

Gleichung mit vielen Unbekannten

Mangelhafte Arzneimittelentsorgung gefährdet Umwelt und Trinkwasser

Ulrike Henning
Rückstände von Arzneimitteln gelangen auf vielen Wegen in die Umwelt. Die Forschung klärte aber bisher nur wenige Spezialfragen dazu. So untersuchte das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei 2010 etwa die Verteilung von Rückständen im Tegeler See im Norden Berlins.
Viele übriggebliebene Medikamente könnten über die Apotheken entsorgt werden. Doch das Gros der Altmedikamente im Hausmüll oder in der Toilette endet.
Viele übriggebliebene Medikamente könnten über die Apotheken entsorgt werden. Doch das Gros der Altmedikamente im Hausmüll oder in der Toilette endet.

Antiepileptika wie Carbamazepin oder Gadolinum aus MRT-Kontrastmitteln haben im Trinkwasser nichts verloren. Wissenschaftler der Jacobs University Bremen zeigten, dass Gadolinium-Kontrastmittel über Klärwerke insbesondere ins Westberliner Trinkwasser gelangen. Sie sehen das seltene Element als Indikator für das Verhalten vieler Medikamente, deren Rückstände die Gesundheit erheblich gefährden können. Auch Antiepileptika werden regelmäßig gefunden.

Und dabei ist der Weg der Wirkstoffe über menschliche Ausscheidungen ins Abwasser nur einer von vielen. Zur Umweltbelastung durch Medikamente tragen auch Abwässer von Kliniken, die Gülle der Großviehanlagen ebenso bei wie die Haushalte. Für Letztere veränderten sich die Bedingungen vor zwei Jahren. Bis Mitte 2009 finanzierten die Arzneimittel-Hersteller ein bundesweites Abholsystem aus den Apotheken, das Verpackungen zusammen mit Altmedikamenten entsorgte. Mit der Änderung der Verpackungsverordnung sind die Bestandteile nun getrennt zu verwerten, was das System zu teuer machte. Jetzt landen überzählige Pillen im Hausmüll. Nur ein Teil der Apotheken nimmt sie zurück, was diese im Jahr 200 Euro kostet. Die Beseitigung über Müllverbrennungsanlagen sei unproblematisch, so die Bundesregierung kürzlich in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag.

Bliebe noch das unbedachte Verhalten der Bürger, insbesondere flüssige Altmedikamente über die Toilette zu entsorgen. Viele der Substanzen können in Kläranlagen nicht ausreichend unschädlich gemacht werden. Eine Informationskampagne zum Thema wäre aber nur sinnvoll, wenn Wege für die verantwortungsvolle Entsorgung überall offen stünden.

Kersten Artus, Linken-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft, fragte beim Senat ihrer Stadt nach Schutzmaßnahmen für das Grundwasser. Die offizielle Antwort: Es gebe weder rechtliche Verpflichtungen für eine Gewässerkontrolle auf Arzneistoffe noch Grenzwerte für das Trinkwasser. Dennoch würde das Wasser zweimal jährlich auf einzelne Stoffe untersucht, wobei Spuren eines Lipidsenkers nachgewiesen wurden.

Die Grünen im Bundestag wollen weiter auf eine sichere Rückgabemöglichkeit für Altmedikamente drängen. Dazu müsste die Regierung Gespräche mit allen Beteiligten aufnehmen: mit den Entsorgern, den Herstellern, dem Apothekenverband und den Verbraucherschützern. Auch eine gesetzliche Regelung sei bei fehlender Bereitschaft nicht auszuschließen.

Lexikon

Gadolinium

Das 1935 erstmals rein dargestellte silberweiße Seltenerdmetall Gadolinium wird unter anderem in speziellen Granat-Kristallen für Mikrowellenanwendungen, in Leuchtstoffen für Radarbildschirme sowie in Komplexverbindungen als Kontrastmittel für die Magnetresonanztomographie (MRT) eingesetzt. Auch als Legierungsbestandteil in Eisen- und Chromlegierungen wird es eingesetzt. Freie Gadolinium-Ionen sind sehr giftig. Sie werden anstelle von Kalzium in der Leber und in Knochen eingebaut. In Komplexverbindungen gelten sie aber als gut verträglich.