Im Strudel böser Zeit

Jeder stirbt für sich allein« nach Hans Fallada im Berliner Maxim Gorki Theater

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin, Prenzlauer Berg – da ist Hans Falladas Roman »Jeder stirbt für sich allein« angesiedelt. Nicht aber die Aufführung nach diesem Roman im Maxim Gorki Theater. Furchtlos vor dem epischen Riesenwerk, hat Bearbeiter Jens Groß die 73 Kapitel auf 669 Seiten in eine knappe, geradlinige Bühnenfassung gebracht, und sehr entschieden fordern Regisseurin Jorinde Dröse und Bühnenbildnerin Barbara Steiner die Rechte des Theaters ein.

Berlin ist ihnen als Handlungsort für das Schicksal des Ehepaars Otto und Anna Quangel zu eingegrenzt. Diese beiden schon älteren, grundbiederen Leute, so erzählt Fallada, wagen den Widerstand gegen das Naziregime, weil ihr Sohn im Krieg gefallen ist. Ihre tapfere, kühne, fast schon verrückt naive Unternehmung, anklagende, aufrüttelnde Postkarten in der Stadt abzulegen, bringt sie 1943 unter das Fallbeil. Alle Zeitumstände, alle Handlungsorte sind im Roman genau erfasst, Dröse aber will mehr. Sie schickt Menschen in eine böse, dunkle, fantastische Welt, in der es Gut und Böse, Richtig und Falsch nicht gibt, nur den Versuch, irgendwie durchzukommen. Feste Charaktere sind nicht auszumachen, schon deshalb nicht, weil sieben Schauspieler fast zwei Dutzend Rollen spielen.

Für jede dieser Figuren ist alles möglich, sie stehen für unlösliche Widersprüche menschlichen Handelns unter politischer Bedrohung. Auf der Bühne, mit einer von vorn nach hinten geschobenen, dann sich drehenden Schräge, gibt es keine »Behausung«, nur Verstecke, Türen, geheimnisvolle Gänge. »Arbeit und Brot« verspricht der bald niedergerissene Vorhang, dann leuchtet im Hintergrund höhnisch, unvollständig, das Wort »Freiheit«.

Es herrscht eine nur gelegentlich von grellem Licht durchbrochene Düsternis, wie in einem kaum beräumten Schutthaufen bewegen sich die Spieler. Mal leise und aufmerksam, mal in tolldreiste Tänze ausbrechend, brüllend und wiehernd. Die Regisseurin spitzt unbedenklich zu, macht Nazis, Spitzel, Polizisten zu Schießbudenfiguren. Ein brutales Kasperlespiel scheint da abzugehen, aber Jorinde Dröse balanciert dabei auf verblüffende Weise mit charakterlichen Umbrüchen, scheut Festlegungen jeder Art.

So kommt es, dass Anna und Otto Quangels Widerstandsarbeit mitunter fast aus dem Blickwinkel gerät. Die vielen Nebenfiguren, geprägt von Gier und Angst, von Übermut und Brutalität, von Hass und Liebe, rückt die Aufführung in den Vordergrund; Lebensversuche in Korrespondenz mit dem Heute.

Fallada folgt einer wahren Begebenheit. Das stille, unbewusste Heldentum der Quangels beschreibt er nüchtern, genau, zum Ende hin aber auch mit der Wucht kaum aushaltbarer Grausamkeiten um Verhaftung, Verhör, Prozess und Hinrichtung. Dieser hochgetürmten Abrechnung mit einem gnadenlosen Regime weicht der Abend aus. Er setzt auf Nachdenklichkeit, auf Stille. Wortkarg, verschlossen, unangreifbar spielt Leupold den Werkmeister Quangel, der wie ein Turm aus dem oft wüsten Durcheinander um ihn herausragt. Und der am Ende einfach dasitzt, ins eigene Schicksal versunken. Unruhiger, fordernder spielt Ruth Reinecke die Anna, macht sie ergreifend zugänglich auch für das Leid anderer. Julischka Eichel hat in vier Rollen die tiefsten charakterlichen Klüfte zu bewältigen, es gelingt ihr, ob still, ob aufgeregt, ob rasend überdreht, in überzeugender Weise. Mit Michael Klammer gehört ihr auch die letzte Szene: das Eingeständnis eines jungen Paares, versagt zu haben.

Hier, in gespannter Stille, bekommt die mitunter heftig forcierte Aufführung (mit Matti Krause, Robert Kuchenbuch, Albrecht R. Schuch) Gewicht. Die Forderung zum Widerstand gegen das Unmenschliche und die Angst, sich dieser Forderung zu stellen, geht diese Fallada-Interpretation kompromisslos an.

Nächste Vorstellungen: 15. und 20. September

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