Regen verschleppte Stimmabgabe

Trotz vieler Briefwähler beteiligen sich an der Abgeordnetenhauswahl weniger Berliner als 2006

  • Sonja Vogel
  • Lesedauer: 3 Min.
Besetzte Wahlkabinen in der Reichenberger Straße in Kreuzberg ND-Fotos: Camay Sungu
Besetzte Wahlkabinen in der Reichenberger Straße in Kreuzberg ND-Fotos: Camay Sungu

In der kleinen Bäckerei am S-Bahnhof Neukölln ist Hochbetrieb. Ein Dutzend Kunden steht schwatzend im Laden. Hauptthema: die Wahl. »Heute ist mehr los als an normalen Sonntagen«, meint Bäckermeisterin Ines Krader. Seit fünf Uhr steht sie hinter der Theke, aber seit Vormittag kommt sie mit dem Bedienen kaum mehr nach. »Die meisten holen sich auf dem Weg ins Wahllokal Schrippen oder kommen danach vorbei.« Auch der Informatiker Florian Sprengel hat seine Stimme abgegeben. Wie in einem Taubenschlag sei es in der umfunktionierten Grundschule zugegangen. »Ich hätte nicht gedacht, dass hier so viele wählen gehen«, sagt der junge Mann. Nun steht er für Brötchen an.

Tatsächlich verschwinden die Menschen im Sekundentakt im nahegelegenen Wahllokal. Drinnen hat sich eine lange Schlange gebildet: Wer einen Wahlzettel haben will, muss ein paar Minuten anstehen. »Bisher sind vielleicht 10 Prozent der Wahlberechtigten gekommen«, schätzt einer der Wahlhelfer. Für den Vormittag sei das eine mittelmäßige Beteiligung, für Neukölln aber überdurchschnittlich hoch.

Insgesamt verlief der Auftakt zur Berlin-Wahl allerdings eher schleppend. Bis 12 Uhr hatten lediglich 19,1 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Das teilte die Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach mit. Die Beteiligung lag damit bis dahin um drei Prozentpunkte niedriger als bei der Abgeordnetenhauswahl 2006. Die höchste Beteiligung verzeichnete der Bezirk Steglitz-Zehlendorf mit 22 Prozent und Friedrichshain-Kreuzberg mit 16,6 Prozent die niedrigste.

Auch vorab war von einer eher geringen Wahlbeteiligung ausgegangen worden. Immer wieder war dabei über den den Einfluss des Wetters auf die Lust zur Stimmabgabe spekuliert worden. Bei Sonnenschein befürchtete man eine geringe Beteiligung, bei Regenwetter eine noch geringere. Zuletzt hatten Soziologen der Freien Universität Berlin (FU) eine Studie vorgelegt. Nach der Studie könnte schlechtes Wetter den Vorsprung der regierenden SPD verringern. Die Erklärung: Mieses Wetter drücke auf die Laune der Wählerschaft und senke damit auch die Zufriedenheit mit dem Status Quo. Nun war es den ganzen Wahlsonntag über regnerisch. Ob sich dies aber wirklich auf die Stimmenabgabe auswirkte?

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit jedenfalls hatte die Wahlberechtigten noch am Mittag dazu aufgefordert, zur Wahl zu gehen. Er warnte davor, dass von einer niedrige Beteiligung vor allem die randständigen Parteien profitierten. »Die Leute sollen wählen gehen, damit die Kleinen nicht so viel Macht bekommen«, sagte er bei der Stimmabgabe. Auch über das Internetportal Twitter wurde mithilfe des Hashtags »Liebe Berliner« dutzendfach an die Hauptstädter appelliert, wählen zu gehen. »Liebe Berliner, raus aus den Betten!« hieß es dort oder »Auch wenn ihr hinschwimmen müsst: Bitte geht wählen.«

Eine Rekordzahl aber gab es bereits vorab: Mehr als 450 000 Wahlberechtigte hatten sich bereits per Briefwahl beteiligt – eine überraschend hohe Zahl und deutlich mehr als bei der Wahl vor fünf Jahren, so die Landeswahlleiterin. Damals hatte die Beteiligung insgesamt bei 58 Prozent gelegen.

Ohne Zwischenfälle war die Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen am Sonntag angelaufen. Rund 2,47 Millionen Wahlberechtigte waren dazu aufgefordert, ihre Stimme abzugeben. 1736 Wahllokale standen ihnen dafür in 78 Wahlkreisen von acht bis 18 Uhr offen.

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