nd-aktuell.de / 19.09.2011 / Kultur / Seite 4

Pionier

Tom Pauls - Der Schauspieler (»Ilse Bähnert«) gründet ein Theater – in Pirna!

Politische Systeme beben, der Planet erzittert im Innersten; und wo früher Innovation freudig ausschritt, stolpert die Existenzangst durchs Ungewisse. Just da schaut die Welt nun irritiert, verwundert, erregt nach – Pirna. Pirna! Klingt wie Pioniertat, und dies klingt wiederum nach: Pauls! Tom Pauls.

Im sächsischen Ort entsteht nichts Geringeres als ein – Theater. Aha, die Banken haben abgewirtschaftet, jetzt wagt sich unerschrockenes Gründergemüt an Tempel der Kunst. Ein Gebäude aus dem 16. Jahrhundert wird Pauls Domizil, für Spiel und Jazz, Literatur und Schülerkonzerte. Spätgotik trifft 21. Jahrhundert, Kunstsinn die sächsische Seele – zu speisen gibt’s natürlich »ä Dässl Heeßen, ä Stückl Eierschecke und zum Schluss än Eierligöör«.

Wobei wir bei der eigentlichen Prinzipalin von Pirna sind: der wunderbar breitmäuligen Ilse Bähnert, seit Jahren Pauls' kabarettistisches Markenzeichen, lange Zeit die Streitmegäre wider den Hausmeister Zieschong, den Uwe Steimle gab, und als »fichilante« Moderatorin nicht mehr wegzudenken aus Komiker- oder Ostalgiesendungen des MDR. Diese Bähnert: knietschig, alterslüstern, typisch sächsisch in ihrer Vertrauensseligkeit, hinter der aber »tückscher« Anbiederungsgeist lauert.

Pauls, 1959 als Sohn einer Psychologin und eines Juristen in Leipzig geboren, studierte an der dortigen Theaterhochschule, spielte am Staatsschauspiel Dresden und gründete 1982 mit Jürgen Haase und Peter Kube das »Zwinger-Trio« – eine auch international erfolgreiche Truppe, die hohe klassische Musikalität mit todernst präsentiertem Witz verband.

Der Schauspieler möchte mit seinem Pirnaer Projekt (180 Plätze) Kleinkunst pflegen – in Zeiten kultureller Vergröberungen und massenbetonter Events. Die Bühne nicht als Mauer-, aber als Nischenblümchen. Ort auch für den Schauspieler Pauls, dessen künstlerische Wesensart in einer Liaison von geschmeidiger Wehmut, frecher Kindlichkeit und herrlich verschrobenem Starrsinn liegt.

Pirna. Völker der Welt, schaut auf diese graue, grämliche Stadt und wisset: Es ist Hoffnung, wo jemand so irrwitzig ist, in dieser verhärteten Zeit – am 11. November ist Eröffnung! – ein kleines feines Theaterchen zu gründen!

Hans-Dieter Schütt