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Glitzerfassaden und Superlative

Zu Besuch auf der grünlich schillernden Internationalen Autoausstellung

  • Hans-Gerd Öfinger, Frankfurt
  • Lesedauer: 5 Min.
Noch ist die Autoindustrie euphorisch – und sieht sich jetzt auch noch auf dem Ökopfad. Doch was Grünen-Spitzenleuten inzwischen gefällt, stößt bei Umweltschützern weiter auf scharfe Kritik.

Am leichtesten findet man die Autoschau noch immer mit dem Kraftfahrzeug: Überall in der Region verkündeten Hinweise in den letzten Tagen: Hier geht es zum Messegelände, auf dem am Sonntag die 64. Internationale Automobilausstellung (IAA) zu Ende ging. Mit großem Erfolg: Schon zur Halbzeit vermeldete der Verband der Automobilindustrie (VDA) einen Besucherzuwachs von zehn Prozent gegenüber 2009.

Während die letzte IAA von Absatzeinbrüchen im Gefolge der seit 2008 wirkenden Finanz- und Wirtschaftskrise überschattet war, gibt man sich derzeit optimistisch. Zu den Siegesmeldungen von der Exportfront gehörte die am Dienstag, dem »China-Day«, verkündete VDA-Botschaft, in Fernost würden heuer wohl erstmals mehr Neuwagen deutscher Konzernmarken zugelassen als in Deutschland. »Heute haben die deutschen Automobilhersteller einen Marktanteil von fast 20 Prozent«, so VDA-Vizegeschäftsführer Kay Lindemann: »China ist damit einer der wichtigsten Märkte der deutschen Automobilindustrie – und wird immer wichtiger.« Der fernöstliche Riese habe sich »zum größten Produktionsstandort deutscher Autobauer außerhalb der Heimat« entwickelt. 2010 sei die Produktion deutscher Pkw-Marken in China um 44 Prozent auf 1,8 Millionen Einheiten gestiegen.

Die Autobranche ist nach wie vor ein Schlüsselbereich der deutschen und europäischen Wirtschaft. Daher lockt die IAA, ein »Mega-Event« mit über 1000 Ausstellern aus 32 Ländern, nicht nur Manager und Fachleute, sondern auch das autobegeisterte Volk. Wer eine 13 oder 15 Euro teure Tageskarte erstanden hat, kann 89 glitzernde Weltpremieren samt eleganten Hostessen bewundern. Freigelände mit Offroadparcours, Probefahrten, eine Kartbahn, Geländewagen der Bundeswehr: Für Erlebniswillige wird viel geboten. Man kann sich auch gleich für die »Karriere mit Zukunft« anwerben lassen. Derlei nannte man einmal den militärisch-industriellen Komplex.

Auch die sogenannten Prominenten dürfen da nicht fehlen. So ließ sich eine strahlende Angela Merkel, die sich in der Opel-Krise vor zwei Jahren im nahen Rüsselsheim als »Retterin« präsentierte, dieser Tage am Steuer eines Opel Ampera filmen. Der Ampera, nach Herstellerangaben »das erste voll alltagstaugliche Elektrofahrzeug eines europäischen Herstellers«, geht im Herbst in die Produktion und wird inklusive Mehrwertsteuer rund 50 000 Euro kosten. Er ist auch das Flaggschiff für die Bewerbung des Landes Hessen als Schaufensterregion für Elektromobilität. Die Bundesregierung sucht Musterregionen, die Deutschland zum Testmarkt für Elektromobilität mit rund 100 000 Elektroautos machen sollen.

Zu den Premieren dieser IAA gehörte auch ein Besuch des Autoland-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. »Was kann der IAA Besseres passieren, als dass der grüne Ministerpräsident sie besucht?«, so der Stuttgarter Regierungschef. »Kretschmann und die IAA passen gut zusammen«, lobt sich der Obergrüne auf einem fast vierstündigen Messerundgang. Die Hersteller, so Kretschmann, hätten verstanden und entwickelten sich »immer mehr in Richtung grün, sprich emissionsfreies Fahren«. Auch sein Verkehrsminister und Parteifreund Winfried Hermann sieht die Industrie »auf den grünen Weg« einschwenken.

Das diesjährige IAA-Motto »Zukunft serienmäßig« hat es den beiden Grünen offenbar sehr angetan. Das können freilich nicht alle Umweltschützer teilen. »Das ist das Gegenteil von zukunftsfähig«, bemängelt etwa der ökologische Verkehrsclub VCD. Die dargebotene Auto-Gesamtpalette entspreche »nur stückweise dem wohl klingenden Leitspruch« der Messe, sagt VCD-Sprecher Gerd Lottsiepen. Denn die Hersteller setzten weiterhin auf »Autokonzepte von vorgestern« und verdienten insbesondere mit den gängigen spritfressenden Luxuslimousinen Rekordsummen.

Lottsiepen hat mehrere Tage auf der IAA verbracht und dabei medienwirksam die Hersteller an ihren Ständen mit scharfer Kritik am hohen Schadstoffausstoß oder Einsatz umweltfeindlicher Klimaanlagen zur Rede gestellt. Ihm missfällt, dass die Industrie E-Autos »als Allheilsbringer präsentiert«. Dabei könne keines der auf der IAA präsentierten Elektroautos von VW, Daimler oder BMW noch in diesem Jahr gekauft werden. Vor allem lenke die in den Mittelpunkt gerückte Elektromobilität von der Hauptaufgabe ab, den CO2-Ausstoß für die gesamte Fahrzeugflotte zu senken, so Lottsiepen. Die in größerer Zahl auf der IAA von Autobauern und Hochschulen ausgestellten Prototypen leichter Ein- und Zweisitzer passten allerdings nicht in einen von der Ideologie der Höchstgeschwindigkeit beherrschten Realverkehr, in dem weiterhin über zwei Tonnen schwere Geländewagen den Ton angäben, so der VCD-Mann.

Bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes gehöre Deutschland im europaweiten Vergleich weiter zu den Schlusslichtern. »Spritspartechniken gehören serienmäßig in alle Modelle«, verlangt auch VCD- Verkehrsreferent Michael Müller-Görnert: »Die Politik darf nicht mehr auf das Gejammer der Autoindustrie hereinfallen, sondern muss Klima- und Ressourcenschutz in den Vordergrund stellen.«

Doch Mahner wie Lottsiepen und Müller-Görnert vertreten nicht den Mainstream der IAA und die Autobegeisterung der Aussteller und allermeisten Besucher. Wer etwa trotz »grüner« Autos den motorisierten Individualverkehr als unwirtschaftlichste, teuerste und umweltschädlichste Fortbewegungsart ansieht und eine Wende in der Verkehrs- und Energiepolitik mit kollektiven Alternativen zum Individualverkehr fordert, die weit über das Carsharing hinaus gehen, wird hier wenig Interessantes finden.

Gut in das offizielle Bild der aufgeklärten Öko-Autowelt passen hingegen Stars wie der Musikproduzent Dieter Bohlen. »Ich steh auf Elektroautos, wenn man sie nutzen kann wie einen Benziner«, bekannte Bohlen als Gast bei Opel auf der IAA: »Wenn die Fahrzeuge technisch ausgereift sind und die Infrastruktur noch verbessert wird, bin ich ganz vorne mit dabei«, so Bohlen. »Ich höre im Auto gern Musik und weil die Elektroautos so leise sind, hat man da einen Megasound.«

»Ich bin ein Mann und jeder Mann steht auf Autos«, meint Bohlen. Solche Aussagen dürften den Macherinnen der Krefelder Agentur »Hallo Frau« aufstoßen, die mit ihrer »LadiesCorner« wieder auf der IAA vertreten sind. Viele Frauen würden auf der IAA »als Ware und Dekoration« präsentiert, auch wenn die Darstellung »etwas weniger sexy« als in früheren Jahren sei, sagt eine Mitarbeiterin an der LadiesCorner.

Die Frauen führen derzeit eher noch ein Schattendasein in der männerdominierten Autowelt, lassen aber nicht locker. »Ein Kaufargument, das bei Männern funktioniert, kann bei Frauen sein Ziel verfehlen«, geben die Frauen am Stand zu bedenken, die sich »nah an der Zielgruppe« sehen. Schließlich legten Frauen bei Autos mehr Wert auf praktischen Nutzen, Sicherheit oder Behindertengerechtigkeit.

Ein nagelneuer Citroën und eine Oldtimer-Ente, ein 2CV aus den 1960er Jahren, lassen erkennen, dass das »Hallo Frau«-Team immerhin schon mit einem namhaften Autobauer im Geschäft ist. Vielleicht besinnt sich die Branche bald generell mehr auf die weibliche Kundschaft. Sobald nämlich die aktuelle Exporteuphorie nachlässt und die Überproduktionskrise wieder sichtbar wird. So zumindest die unausgesprochene Hoffnung der »Frauenversteherinnen«.

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