nd-aktuell.de / 24.09.2011 / Kultur / Seite 32

Nun ist wieder dutscher Herbst

Wulf Kirsten: Vorwinter

nach einem gemälde von Miller

am grauverwachsnen himmel
taumelt ein krähenschwarm
und orakelt dunkle sprüche
im streuwurf über den acker.
faulendes kraut und zottige strünke
aus dem erdreich geraffelt,
mit der balkenegge zusammengeschleift
und zu haufen geworfen.
mitten im feld steckt noch ein pflug, gezinge samt rädern, balken aus holz,
die sterze zu boden gedrückt,
auf der spitze des grindels,
schräg in den himmel gelehnt,
ein krächzender rabe, müde,
ein flugbild höheren ortes komparse
einträchtigen hungers zu sein.
rings um den ödhügel wintern die
krautäcker ein, leer und erschöpft.
das licht zu schwach, um aufzuklaren.
der ewigkeit vordunkel – ein allerseelentag
aus dreck und faulen strünken.
durch wieviel einsamkeit stößt
jener schrei, der eisig ins mark
fährt außer aller welt?

Rainer Malkowski: Herbstgang

Nun steht die Sonne tief.
Man kommt ins Gespräch
mit seinem immer ausführlicher
werdenden Schatten.
Wenig Neues
dabei zu erfahren.
Aber das Alte gewinnt
seine Wahrheit zurück,
daß es einem
die Kehle zuschnürt.

Günter Eich: Herbstmeer

Die Adern von Gischt
auf der marmornen Brandung,
wenn das Braune sich mischt
in den Fluß der Verwandlung.
Die See zeigt den Schliff
von Kristall und von Sand,
und ein segelndes Schiff
ist auf Flügeln gesandt.
Spät noch im Jahr
prangt neben dem Meere
die Sanddornbeere
im Weidenhaar.
In Flugsand und Schaum
geschöpft und geendet,
zurück in den Raum
der Vergängnis gewendet,
zerstäubt in den Winden
Devon und Silur,
im Salzhauch zu finden
Planetenspur.
Oktoberklar
hängt ins Leere
die Sanddornbeere
ihr Weidenhaar.

Anna Achmatowa: Nie dagewesen

Ein niedagewesener Herbst hatte hoch eine Kuppel gebaut,
Die Wolken hatten Befehl, nicht über die Kuppel zu fahren,
Und es staunten die Menschen: da ging der Septemberrauch,
Doch wo blieben die kühlen, nebligen Tage?
Smaragden wurde das Wasser der trüben Kanäle,
Und die Brennessel duftete stärker als Rosen im Wind.
Betäubt von den unerträglichen, höllischen Morgenröten
Behalten wir sie im Gedächtnis, solang es uns gibt.
In die Hauptstadt brach, wie ein Aufrührer einfällt, die Sonne,
Und es lehnte der Herbst so frühlingshaft kläglich bei ihr,
Daß es schien, gleich müßten, durchsichtig, die Schneeglöckchen
kommen ...
Damals kamst du ruhig an die Treppe zu meiner Tür.

Ins Deutsche übertragen von Rainer Kirsch


Nun ist wieder dutscher Herbst