nd-aktuell.de / 24.09.2011 / Politik / Seite 5

Was kann die Klientel verkraften?

Aert van Riel

Viele Bürger sehnen sich nach einer rot-grünen Bundesregierung zurück. Umfragen bescheinigen SPD und Grünen einen Vorsprung vor den zerstrittenen Parteien CDU, CSU und FDP. Denn kaum etwas schreckt die Wähler mehr ab als Uneinigkeit. Und sollte diese in der Regierung weiter anhalten, sind vorzeitige Neuwahlen wahrscheinlich.

Aber auch zwischen SPD und Grünen werden Differenzen deutlich. Jüngstes Beispiel hierfür sind die Äußerungen von Grünen-Chef Cem Özdemir. Anstatt die Erfolge der Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen anzuerkennen, behauptete Özdemir gegenüber der »Leipziger Volkszeitung«, die SPD habe bis auf Hamburg »bei fast allen Wahlen deutlich verloren«. Deswegen sei eine »gewisse Demut« angebracht.

Doch nicht nur Neid und Eitelkeiten bedrohen ein harmonisches Zusammengehen von Rot-Grün, auch bei wichtigen politischen Fragen besteht in und zwischen den Parteien Uneinigkeit. Vor allem um die Steuerpolitik wird im rot-grünen Lager, das einst unter Gerhard Schröder den Spitzensteuersatz massiv gesenkt hatte, gerungen. Bei den Grünen wird über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 45 oder 49 Prozent gestritten, bei den Sozialdemokraten über 49 oder 52 Prozent. Sollte in der SPD ein Kompromiss geschlossen werden, drohen Konflikte mit den Grünen, die nicht die Besserverdienenden unter ihren Wählern verlieren wollen. Mehr als 50 Prozent steuerliche Gesamtbelastung sei »nicht verkraftbar«, so Özdemir. Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann sprach sich für einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent, aber gegen eine Vermögenssteuer oder eine befristete Vermögensabgabe, die viele Grüne favorisieren, aus.

Ebenso wie nun Rot-Grün galt vor der Bundestagswahl 2009 auch Schwarz-Gelb als ein Wunschbündnis. Doch die FDP ist der Union heute nur noch ein Klotz am Bein. Die Krise der Liberalen begann, als deutlich wurde, dass sie mit ihrer Steuerpolitik die eigene Klientel bevorteilen. Steuergeschenke wären unter Rot-Grün wohl ausgeschlossen. Aber in Zeiten klammer Haushalte steht auch die weitgehende Schonung parteinaher Schichten unter dem Verdacht der Klientelpolitik. Das sollte Özdemir und Kretschmann zu denken geben.