Prozession der Prothesen

Im Schinkel Pavillon klagt Jannis Kounellis mit »Danza della Morte« den Krieg an

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Ob es ihn als Tanz wirklich in nennenswertem Ausmaß gegeben hat, ist unter Historikern bis heute umstritten. Die wenigen Überlieferungen bestärken diese Zweifel. Dass der Totentanz allerdings in der Kunst bedeutende Spuren hinterlassen hat, lässt sich nachweisen. So taucht er verstärkt im Mittelalter auf, und zwar ebenso als Reaktion auf die großen Pestepidemien wie auf verheerende Kriege. Das Gleichnis des Todes, der über alles Lebende siegt und die Menschen jedweden Standes gleich einem Tanz ins Jenseits führt, ist so naheliegend wie makaber. Danse macabre heißen daher jene Darstellungen auf Französisch.

Bekannt geworden sind Totentanz-Zyklen aus Kirchen: Lübeck und Basel etwa, Luzern und Tallinn, Dresden und Berlin, hier in St. Marien bis heute zu besichtigen. Von Holbein über Dix, Corinth bis zu Hrdlicka, Grieshaber äußerten sich bildende Künstler, von Liszt über Saint-Saens bis Distler befassten sich Musiker, von Goethe bis Jahnn Schriftsteller mit dem Thema. Mindestens ein berühmtes Tanzwerk greift es ebenfalls auf: Mit »Der grüne Tisch« schuf Kurt Jooss das wohl wichtigste Antikriegsballett und errang mit diesem grandiosen Totentanz in acht Bildern beim Choreografiewettbewerb 1932 in Paris den ersten Preis. Auch »Der Tod und das Mädchen« ist ein gern gestaltetes Sujet: Der vermeintliche Liebhaber versüßt der Jungfrau das Sterben.

Dass auch Gegenwartskünstler in Zeiten der Krise und sozialer Orientierungslosigkeit auf den Totentanz zurückgreifen, nimmt nicht wunder. Jüngstes Beispiel ist »Danza della Morte« von Jannis Kounellis, der seine Installation im Schinkel Pavillon zeigt. Nichts weiter steht im edlen Oktogon mit Marmorboden als ein Rahmen aus rohem, hellem Holz. Darin vollzieht sich wie ein Fries jener Totentanz. Er beginnt links mit sechs Paar Pumps, die durchbohrt und wie gepfählt an langen Gitterstäben baumeln. Den größeren Raum im Rahmen nehmen elf ge- und verbrauchte, schäbig gewordene Beinprothesen ein. Die täuschend aufgebrachte Inkarnat-Farbe blättert, splittert ab, die haltenden Gummigurte zum »Vertäuen« am Beinstumpf sind verschlissen und hängen welk, die Kniegelenke sind ausgeleiert. Keine zwei Prothesen dieses gruseligen Panoptikums gleichen einander, einige gehen »nur« bis zum Knie, andere reichen bis an die Hüfte. Doch alle sind sie streng in Marschrichtung nach rechts angeordnet, manche indes stehen nicht stramm, scheinen an ihrer Plastikschnur ins Taumeln geraten.

Was sie für die früheren Träger nötig gemacht hat, findet zwischen den Kunstbeinen auf grün gemaserter Platte als Boden Platz: Eine Trommel mit pflasterverklebtem Fell und drei Klöppeln sowie eine zerbeulte Trompete zeugen von der anfeuernden Musik, mit der die Männer in Krieg und Tod zogen; der nunmehr stumme Rhythmus scheint nach wie vor den Takt des Zugs im Gleichschritt anzugeben. Nur ein Paar schwarzer Halbschuhe gemahnt an das Vorher, als jeder noch beide Beine hatte und seine Füße zivil bekleiden konnte.

Nun aber humpeln die Holzbeine, wie wohl ihre Nutzer gehumpelt sein mögen. Zum Ruhm des Vaterlands hatten sie mit Einsatz gekämpft, welch Ruhm ihnen danach zuteil wurde, bleibt fraglich: Die Invaliden auf den Gemälden von Otto Dix jedenfalls sind außer Krüppeln auch noch unwillkommene, lästig an den Krieg erinnernde Bettler in Friedenszeiten. Form und Qualität der Prothesen berühren ebenfalls. Bei manchen sind sogar die Zehen angedeutet, die armseligsten weisen nur Klumpfüße oder einen Bügel als Zutritt auf; wieder andere bestehen lediglich aus einer hohlen Plastikform. Teile der häufig aus Einzelstücken zusammengeflickten Kunstbeine sind wie verwundet umwickelt. Lange und kurze Beine bilden eine erschütternde Prozession und lassen die Frage nach den Trägern aufkommen. Welchen Alters sie gewesen sein, wie sinnlos sie den Verlust ihres Beins empfunden haben mögen. Ob die Damenschuhe an ihren Fleischerhaken die einstigen Freundinnen zitieren oder als eher unrealer Traum von einer Familie stehen, kann der Betrachter für sich entscheiden. Mit Fleisch, dem eigenen, haben die Männer bezahlt.

Ganz ohne Menschen ist dem Griechen Jannis Kounellis – 1936 in Piräus geboren, seit seinem Studium in Rom ansässig und auf zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten – eine so makabre wie markante Prozession gelungen, ein Defilee ohne Tod: Der steckt in jeder der laufwunden Prothesen.

Bis 16.10., Do.-So. 12-18 Uhr, Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, Mitte, Tel.: (030) 20 88 64 44, Infos unter www.schinkelpavillon.de

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