nd-aktuell.de / 29.09.2011 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Auf Umwegen zur Papstandacht

Bleicherode in Thüringen entging nur knapp einer Katastrophe

Erich Preuß
Der jüngste Zusammenstoß zweier Güterzüge in Bleicherode geht offenbar auf eine Fehlleistung des Fahrdienstleiters zurück.

Ausgerechnet zum Papstbesuch im katholisch geprägten Eichsfeld kam es am Abend des 21. September auf dem Bahnhof Bleicherode zu einem schweren Zusammenstoß zweier Güterzüge. Ein Kesselwagen explodierte, zwei weitere und eine Lokomotive brannten aus, der Zugverkehr aus Richtung Wolkramshausen musste für fast eine Woche unterbrochen werden.

Das traf die Pilger, die aus Richtung Halle zur Andacht mit dem Papst in Etzelsbach per Bahn anreisen wollten: Sie mussten sich entweder auf den Schienenersatzverkehr oder auf weite Umwege einstellen. Weit schwerer wiegt, dass die Stadt Bleicherode nur knapp einer Katastrophe entging. Denn die beiden Züge waren mit Benzin und mit gefährlichen Gütern beladen. Der Feuerwehr gelang es erst nach zweieinhalb Stunden, den Brand unter Kontrolle zu bringen.

Bei der Frage, wie es zu diesem Zusammenstoß kommen konnte, verweigerte das Dortmunder Eisenbahnunternehmen Rail4Chem, dem eine der Lokomotiven gehörte, die Auskunft. Die Deutsche Bahn verwies darauf, alles habe den Vorschriften entsprochen. Bleibt das »menschliche Versagen« des Bleicheroder Fahrdienstleiters als Unglücksursache.

Doch wie kam es zu dem Zusammenstoß? Ein Personenzug hatte den Bahnhof in Richtung Leinefelde verlassen. Solange das Streckengleis besetzt blieb, musste der folgende Güterzug warten. Ein zweiter Güterzug näherte sich Bleicherode, und fatalerweise stellte der Fahrdienstleiter für ihn das Einfahrsignal auf Fahrt, worauf der Zug im noch besetzten Gleis auf den anderen Güterzug auffuhr. Auch eine automatische Zugbeeinflussung, die auch hier noch fehlt, hätte das Unglück nicht verhindert. Denn die Signale wurden beachtet, aber zur Unzeit bedient und zwar von Stellwerken ohne automatische Gleisprüfung. Der Fahrdienstleiter ist gehalten, auf das Gleis zu sehen, bevor er eine Einfahrt zulässt. Früher sagte man zu diesem Vorgang: Fahrwegprüfung, bei der Deutschen Bahn »Hinsehen«. Nur wenn das Gleis frei von Wagen ist, darf der Leiter das Einfahrsignal auf Fahrt stellen. Das Hinsehen unterließ er, womöglich aus Routine. Bei neuzeitlicher Sicherungstechnik wird automatisch geprüft, ob das Gleis frei ist. Anderenfalls ist die Einfahrt unmöglich.

Die betroffene Strecke gehörte zu den Verkehrsprojekten Bahnbau Deutsche Einheit, bei deren Ausbau unerwähnt blieb, woran gespart wurde: an der Zugbeeinflussung, weshalb die zulässige Geschwindigkeit von 120 km/h auf 100 km/h herabgesetzt werden musste, und an neuen Stellwerken. Lediglich Leinefelde erhielt ein elektronisches Stellwerk. Auf anderen Bahnhöfen blieb, abgesehen vom Abriss scheinbar überflüssiger Gleise, alles beim Alten. Dabei wird diese Strecke neben dem Personennahverkehr auch lebhaft von Güterzügen insbesondere der Verbindung Ruhrgebiet-Polen befahren.

Der Fehlgriff des Fahrdienstleiters hat für die Bahn auch sein Gutes: Es gibt einen Sündenbock. Über andere Unzulänglichkeiten braucht man kein Wort zu verlieren, zumal diese von den Vorschriften gedeckt sind.