Die Liebe im Schraubstock

ZUR SEELE: Erkundungen mit Schmidbauer

  • Lesedauer: 4 Min.
Dr. Wolfgang Schmidbauer lebt und arbeitet als Psychotherapeut in München.
Dr. Wolfgang Schmidbauer lebt und arbeitet als Psychotherapeut in München.

Sie sind seit drei Jahren ein Paar und denken gerade darüber nach, eine gemeinsame Wohnung zu suchen. Eines Abends lässt sie ihr iPhone im Restaurant auf dem Tisch liegen und geht auf die Toilette. Er spielt damit und entdeckt unter ihren Textbotschaften einige aus jüngster Zeit an einen Mann, von dem sie ihm erzählt hat: Da war einmal was, aber es ist längst Geschichte, sie gehen seit Jahren getrennte Wege. Er legt das Spielzeug weg, bevor sie zurückkommt. Was er gelesen hat, war eigentlich nicht verdächtig. Aber weshalb hat sie behauptet, die Beziehung sei vorbei, und tauscht dann eifrig Mails?

Er will der Sache nachgehen und stellt ihr eine Falle: Er kennt den Exfreund flüchtig und erzählt, er habe neulich einen gemeinsamen Bekannten getroffen, wann hatte sie denn letztes Mal Kontakt mit ihm? »Schon lange nicht mehr«, sagt sie.

Sie kennt seine Eifersucht. Manchmal hat sie versucht, mit ihm zu scherzen, dass sie sich ja gerne, wie das die Frauen in Kairo tun, zur Jungfrau zurück operieren lassen würde, aber sie seien doch beide schon ein wenig älter und nicht unattraktiv. Sie will keinen Streit und keine ausufernden Verhöre, was früher gewesen sei.

»Du lügst mich an! Ich weiß genau, dass du ihm erst vor ein paar Tagen eine SMS geschickt hast. Wie soll ich dir glauben, dass die Sache vorbei ist? Jetzt sag einmal genau, was da noch läuft zwischen euch, sonst traue ich dir nicht mehr über den Weg. So habe ich mir eine Beziehung nicht vorgestellt!«

»Du hast mein Handy kontrolliert? Ist das deine Vorstellung von Vertrauen? Das ist ja das Letzte! Du spionierst hinter mir her! Ich hab das nur gesagt, weil da wirklich nichts ist, und ich deine Eifersuchtsanfälle hasse.«

»Ich muss doch schauen, wie ich an die Wahrheit komme, wenn du sie mir verschweigst. Ich hab nur zufällig dein Phone in die Hand genommen. Wenn Du ehrlich wärst, gäbe es gar kein Problem!«

Es kann einem bange werden um die Zukunft solcher Paare: Sie sind in Umgangsformen gerutscht, in denen jede Seite ihren Druck auf den Partner mit dessen Fehlverhalten rechtfertigt. Sie können der fatalen Versuchung nicht widerstehen, die eigene Vorstellung von Liebe einem anderen Menschen aufzuzwingen. Es tut der Liebe nicht gut, wenn ihr Daumenschrauben angelegt werden: Entweder tust du, was ich verlange, oder ...

Warum tun Menschen das? Einem Außenstehenden gegenüber, von dem sie sich nicht beschämt und bedroht fühlen, würden beide zugestehen, dass es weder gut ist, Handygeheimnisse auszuforschen, noch den Partner anzulügen. Aber wenn eine Liebesbeziehung enger wird und wir beginnen, uns abhängig zu fühlen, wächst auch das Bedürfnis, den Partner zu kontrollieren, um Verlustängste in Schach zu halten.

So lange die Partner über diese Ängste und ihre Kontrollbedürfnisse mit Liebe und Humor sprechen können, werden sie der Hierarchie der Leistungsgesellschaft widerstehen, die angeblich Lenin auf den Punkt gebracht hat: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. (Der Revolutionär hat das so wohl nicht gesagt, jedoch öfter ein russisches Sprichwort zitiert: Vertraue, aber prüfe nach). Aber sobald sie nicht mehr über ihre Ängste sprechen, sondern den Partner als Angstauslöser identifizieren und ihn manipulieren wollen, vermehrt diese scheinbare Lösung das ursprüngliche Übel.

Vielleicht auch unter dem Einfluss der modernen Medien scheint unsere Liebeswelt perfektionistischer zu werden. Jeder will untadelig sein und keine Schwächen kennen.

Wenn dann die Einsicht droht, dass es doch mehr kindliche Ängste und Unsicherheiten gibt, als Mann oder Frau an sich wahrhaben wollen, wird das eigene Selbstbild dadurch scheinbar gerettet, dass der Fehler nur beim Gegenüber liegen kann. Wenn er besser wäre - was heißt: mehr wie ich -, dann hätten wir diese Konflikte nicht!

So schafft endlich das Bestreben, als untadeliger Sieger aus einer Auseinandersetzung über die richtige Liebe hervorzugehen, zwei Verlierer. Diese müssen ihre Verletzungen alleine versorgen. Sie können doch ihre Wunde einem Partner nicht zeigen, der ihnen versichert, sie seien ohnehin an allem Schuld.

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