Der verzierte Körper

Die Liebe, die ein Mensch sich selbst entgegenbringt

  • Carsten Grün
  • Lesedauer: 3 Min.
Oberhausen. Tätowierungen sind angesagt. Zwischen chinesischen Schriftzeichen, Drachen und Steißtattoo, dem so genannten Tribal, ist alles drin, was der Kunde wünscht. Knapp zehn Prozent der deutschen Bevölkerung ist tätowiert. Aber woher kommt dieser urplötzliche Trend, der bis vor einigen Jahren eher der Knast- und Rockerszene oder dem Hafenmilieu vorbehalten war? Und da in Deutschland viel geforscht wird, hat sich ein Wissenschaftler auch dieses Themas angenommen. Tobias Lobstädt ist Erziehungswissenschaftler und hat zum Thema »Tätowierung, Narzissmus und Theatralität« eine Doktorarbeit an der Universität Duisburg-Essen geschrieben. »Damit ist die Steigerung des Selbstwertgefühls durch Tätowierungen und ihre Inszenierung gemeint«, sagt Lobstädt.

Der Bildungswissenschaftler interessierte sich für das Thema, weil ein Freund eine Karriere als Tätowierer begonnen hatte. Für Lobstädt stand bei seiner Dissertation von Beginn an der psychologische Ansatz im Vordergrund: Warum lassen sich Leute tätowieren? »Tätowierte erklären oftmals, sie hätten sich aus ästhetischen oder individualistischen Gründen tätowieren lassen. Diese Begründung stimmt oberflächlich betrachtet, aber weiterhin dient die Wiederholung einer Tätowierung dazu, dass narzisstische Gleichgewicht zu stützen. Narzissmus ist dabei keineswegs negativ gemeint.« Mit Narzissmus ist die Liebe gemeint, die ein Mensch sich selbst entgegenbringt. Tobias Lobstädt fiel bei seinen Forschungen auch auf, dass Tattoos häufig in besonderen Situationen erworben werden. »Das können auch Krisen sein. Tattoos dienen dazu, das Unaussprechliche mit einem Symbol zu veräußern.«

Lobstädt entdeckte auch, dass die eigene gesellschaftliche Inszenierung und Selbstdarstellung in der heutigen Zeit immer wichtiger wird. »Schnell wechselnder Bekanntenkreis, neue Arbeitsumfelder erfordern eine schnelle Selbstdarstellung über den Körper. Der Körper zeigt an, wie man von anderen gesehen werden will, er wird generell zum Darstellungsmedium. Accessoires können der schicke Anzug oder die teure Uhr sein oder eben auch das Tattoo«, so Lobstädt.

Allerdings gilt das bei der Tätowierung nur im Freizeitbereich. Im Berufsalltag oder in der Familie wird, insbesondere bei jungen Leuten, das Tattoo verborgen. Hingegen dient es als Kommunikationsmittel beim abendlichen Flirt. Tattoos sind oft Kennzeichen und Prestigeobjekt. Das Tattoo kommt vom anerkannten Tätowierer. Es kann aber auch Gruppenzugehörigkeit kennzeichnen oder eben auch Stigma werden. Das »Arschgeweih« als solches ist mittlerweile verpönt und lastet den in der Regel weiblichen Besitzerinnen an. Die Boulevardpresse machte kurzentschlossen daraus den Schlampenstempel. Dafür gibt es jedoch Abhilfe. Camouflagecreme verdeckt das ungeliebte Relikt schwacher Momente.

Auch Medien berichten gerne über die neuesten bunten Bilder Prominenter. So stehen immer wieder Sportler im medialen Interesse, nicht nur des Boulevards. Neueste Tattoos eines Fußballprofis werden interpretiert und vorgestellt. Insbesondere in der spielfreien Zeit stürzen sich Journalisten auf dieses Thema. Für viele Fußballer, die ja auf dem Spielfeld alle die gleichen Trikots tragen, ist dies offenbar ein Zeichen der Individualität. Ein Beispiel hierfür ist der ehemalige Berliner Profi Marcelinho, der wöchentlich die Frisur wechselte und durch viele Tattoos auffiel.

Dennoch reißt die meisten Menschen eine Tätowierung heute nicht mehr vom Hocker und ist gesellschaftlich nicht mehr so verpönt wie noch vor einigen Jahren. »Das wird mittlerweile erst zum Gesprächsthema, wenn auch die Frau des Bundespräsidenten eins hat«, so Lobstädt abschließend.

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