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»Hegemoniale Vernichtung«

Konferenz zur Abwicklung der Berliner Hochschule für Ökonomie 1991 und zur Forschung heute

  • Dieter Janke
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit der Berliner Hochschule für Ökonomie wurde am 1. Oktober 1991 die größte ökonomische Lehr- und Forschungseinrichtung der DDR abgewickelt. Der 20. Jahrestag des Ereignisses war Anlass, über die Hintergründe und Folgen jener Zäsur, die exemplarisch für die sozialwissenschaftliche Wissenschaftslandschaft Ostdeutschlands war, nachzudenken.
Rund 200 Gäste waren der Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Helle Panke e. V. in den Münzenbergsaal am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin gefolgt – vor allem ehemalige Hochschullehrer und Absolventen der Berliner Hochschule für Ökonomie (HfÖ) –, »nicht um Wunden zu lecken«, wie die vorletzte HfÖ-Rektorin Christa Luft eingangs betonte. 20 Jahre nach der Abwicklung der größten Lehr- und Forschungseinrichtung der DDR sei die Zeit vielmehr reif für einen Beginn, die Geschichte ihrer Einrichtung wie auch die der Ökonomieeinrichtungen des Hochschulwesens der Akademie der Wissenschaften der DDR einer sachlichen Erörterung zu unterziehen. In der offiziellen Sicht der vermeintlichen Sieger des seinerzeit zu Ende gehenden Ost-West-Konflikts war die Wissenschaftslandschaft der DDR lediglich eine Wüste – ihre Abwicklung mithin ein alternativloser politischer Akt.

Für den renommierten alternativen Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel hingegen stellt sich die Schließung der Lehr- und Forschungseinrichtungen der DDR beziehungsweise deren Pseudoabwicklung an den Universitäten und Hochschulen als »organisierter hegemonialer Vernichtungsfeldzug« dar, der eine schwere Niederlage für Westdeutschland sei. Schließlich war er nicht das Resultat inhaltlicher Debatten, sondern wissenschaftsferner Entscheidungen, mit dem Ergebnis neuerlicher monopolistischer Wissenschafts- und Denkstrukturen, deren Intoleranz und Weltfremdheit eine der Ursachen der derzeitigen Finanzkrise wie auch der offenkundigen Hilflosigkeit der politischen Klasse sei.

Welche gesellschaftliche – nicht vordergründige politische – Verantwortung hatten und haben die Wirtschaftswissenschaften? Welche Verantwortung wiederum hat die Gesellschaft für jene Disziplinen, denen der alternative Klassiker Karl Marx bescheinigte, besonders sensibel für sozialökonomisch determinierten Befindlichkeiten zu sein? Diese Fragen dominierten die Debatte, die erfreulicherweise nicht der durchaus nachvollziehbaren Versuchung nostalgischer Romantik eigenen Tuns und Lassens unterlag. »Wir können jedoch nicht über unsere eigene Verantwortung dafür hinwegsehen, dass wir die Funktion der Wissenschaft auf unserem Gebiet nicht ausreichend erfüllt haben.« – so Klaus Steinitz, seinerzeit immerhin einer der renommierten Ökonomen der Akademie der Wissenschaften der DDR. Die Frage nach den Ursachen kann man freilich nicht vordergründig durch das zweifellos unselige Wirken eines ZK-Sekretärs Günther Mittag erklären. Sie dürften tiefer liegen. Was war das schließlich für ein Sozialismus, der das kritische Nachdenken über sein Wesen, seine Geschichte und seine Zukunft so unter Strafe stellte, als hätte man Bruder- oder Vatermord begangen? Wissenschaftler als Hofnarren, denen zum Zwecke des Machterhalts sogar die Kenntnis statistischer Fakten verbot! Was hat sich geändert?

Das Verhältnis von Wirtschaftstheorie und ökonomischer Praxis ist subtiler geworden. Vordergründigen Einfluss von Politik oder Wirtschaftsinteressen wird man kaum noch ausmachen können. Berufungsmechanismen, Abhängigkeiten von »Drittmitteln« sowie auch die Medien bewirken Anpassungen im akademischen Betrieb, die sozialökonomische Realitäten ignorieren und deren voraussetzungslose Analyse unterbinden. Wie sonst ist die Hilflosigkeit der Ökonomenzunft angesichts der fortdauernder Wirtschafts- und Finanzkrise zu erklären? Produktive Demut, die angebracht wäre, kann Christa Luft bestenfalls sporadisch und jenseits bundesdeutscher Wissenschaftsstrukturen ausmachen. Nachdenklichkeit, der man den Wirtschaftswissenschaftlern im Osten Deutschlands seinerzeit keinen Raum ließ, scheint indes derzeit mehr als angemessen. Was ist eigentlich Ökonomie – praktisch wie theoretisch – und welche Rolle spielt der Mensch als solcher und im Konkreten im Wechselspiel von privatem Nutzen und gesellschaftlicher Verortung? Eine Frage, so die abschließend geäußerte Sorge von Christa Luft, die möglicherweise obsolet werden könnte, wenn die Natur ihre Rechte rascher einfordern sollte, als sozialökomische Lösungen für die globalen Menschheitsprobleme möglich sind.
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