Jan Costin Wagner: Ein Finnland-Krimi

Der Mörder weint

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn er ging, ließ er das Licht brennen. Sah er abends von weitem ein dunkles Haus, jubelte es in ihm: Sie ist da. Die blonde Frau, die sich Larissa nennt, aber wer weiß wie heißt, kennen wir schon aus Jan Costin Wagners vorigem Roman, »Im Winter des Löwen«. Da hatte Kimmo Joentaa sie kennengelernt, als sie auf die Polizeiwache kam, einen brutalen Freier anzuzeigen; später klingelte sie an seiner Tür und stieg bald darauf mit ihm ins Bett. Als ob eine Handlungslinie angelegt, aber nicht ausgearbeitet worden wäre, so schien es mir damals. Oder damit schon die Vorbereitung getroffen sei für einen nächsten Roman.
Ich täuschte mich nicht: Durch Larissa und durch Saana, Kimmos verstorbene Frau, sind die Romane verbunden. Und der Autor hat auch diesmal nicht vor, die Rätsel um Larissa zu lösen, die zu Beginn des Buches verschwindet und auf der letzten Seite wieder auftaucht. Ehe sie ein Wort der Erklärung sagen kann, ist der Roman zu Ende. Ihr müsst nicht alles wissen, zwinkert Jan Costin Wagner seinen Lesern zu, alles wissen kann man von Menschen nie.
Lichtung mit Eintrübungen. Dieser Schriftsteller hat eine eigene Sicht, einen eigenen Stil, verfügt über einen Zauber eigener Art. Lebt er in Frankfurt am Main, zieht es ihn nach Finnland, woher seine Frau stammt und wo er seine zweite Heimat hat. Er schreibt Finnland-Krimis, die erst übersetzt werden müssten, um am Handlungsort gelesen zu werden. Wie mögen sie dort wohl wirken? Stimmiger gar, als von einem Finnen verfasst?
Larissas Zweitschlüssel fürs Haus hing an einer Giraffe aus Holz. Sie hatte ihn zurückgelassen, Kimmo legte ihn unter den Apfelbaum vors Haus, damit sie ihn jederzeit findet. September, Oktober, November, Dezember. Alles verschneit. »Giraffe im Schnee« – so hätte der Roman auch heißen können. Oder: »Der Mörder weint«, denn auf dem Bettlaken einer ermordeten Frau hatten die Kriminaltechniker jede Menge Tränenflüssigkeit gefunden. Die Frau lag im Krankenhaus im Koma, wäre ohnehin bald gestorben. Warum wurde sie getötet? Niemand wusste, wer sie war.
Aber wir hätten es wissen können. Am Schluss begreifen wir: Die Wahrheit war von der ersten Seite an da. Sie hatte mit Tränen zu tun, die auf ein Klavier gefallen sind, mit einem hellen Ton, der wie ein Schrei geklungen hat. Vor 25 Jahren ist etwas geschehen, was zum Tod der Frau führte und zu weiteren Morden. Aber zunächst kann sich Kimmo Joentaa nicht so recht auf den Fall konzentrieren. Weil sein Haus noch hell ist, wenn er heimkommt. Seine mails an »veryhotlarissa« scheinen ins Leere zu gehen. Bis er in einer seinen Fall schildert und eine Antwort bekommt: »Männliche Gewalt«. Das ist die Spur, die schließlich zum Täter führt – von dem man wünschen würde, dass er entkommen möge ...

Tränen: Hat Larissa nicht auch oft nachts geweint? Im September, vor dem Mord, war Kimmo mit ihr bei einer Geburtstagsfeier des Polizeipräsidenten gewesen, bei dessen Anblick Larissa einen Satz gesagt hatte, der einem nicht aus dem Kopf geht. »Hey, Mann, August.« War er wohl einer ihrer Freier? Irgendwann werden wir erfahren, wie es mit Larissa weitergeht. Dass Kimmo dann einen neuen Kriminalfall zu lösen hat, nun gut, das gehört dazu.

Jan Jostin Wagner: Das Licht in einem dunklen Haus. Roman. Galiani Berlin. 309 S., geb., 19,99 €.
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