Blind gegen Recht?

André Hahn über die Ermittlungen gegen Naziblockierer

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Dem Fraktionschef der LINKEN in Thüringen, Bodo Ramelow, wurde soeben die Immunität entzogen, wie zuvor schon Ihnen - wegen der Blockaden gegen Nazis in Dresden 2010 und 2011. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommt zum Schluss, dass die Ermittlungen gegen Blockierer illegal waren. Müssten die Behörden nicht langsam nachdenklich werden?
Hahn: Ich denke, das Gutachten ist die letzte Chance für die Dresdner Staatsanwaltschaft, ohne weiteren Gesichtsverlust aus der Sache herauszukommen. Sie kann es zum Anlass nehmen, die Verfahren endlich einzustellen, wie es auch sachlich geboten wäre. Und wenn sie selbst nicht auf die Idee kommt, ist die Frage, warum der Generalstaatsanwalt hier nicht endlich ein klares Zeichen setzt.

Gehen Sie persönlich davon aus, dass die Dresdner Ermittler jetzt von ihrer harten Linie abgehen?
Ich kann mir, selbst die besonderen sächsischen Verhältnisse eingerechnet, nicht vorstellen, dass sich ein Richter findet, der auf Basis dieser dürren Anklage verurteilt. Die Aussagen im Gutachten sind zudem eindeutig. Es hat eine schlampige Beschlussfassung beim sächsischen Versammlungsgesetz gegeben. Darum ist es vom Verfassungsgericht gekippt worden. Es ist im Gutachten zurecht ein Verweis auf das Rückwirkungsverbot enthalten. Fakt ist, bei zwei Jahren Haft als Höchststrafe, wie sie im sächsischen Gesetz standen, kann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Im Bundesgesetz stehen drei Jahre - das bedeutet definitiv eine Haftstrafe. Das ist ein sehr großer Unterschied. Das erste Gerichtsverfahren gegen einen Blockadeteilnehmer findet heute in Dresden statt. Ich gehe davon aus, dass das Gutachten dort eine Rolle spielen wird. Bevor der Richter indas Verfahren eintritt, muss er prüfen, ob die formalen Voraussetzungen gegeben sind. Vielleicht sind die Richter ja sogar froh über das Gutachten, weil es ihnen eine Handhabe bietet, die Verfahren zu beenden.

Auch gegen andere Linkspolitiker wird ermittelt. Die Aufhebung der Immunität Ramelows spricht nicht für Einsicht der Behörden.
Meine Immunität ist noch in Kraft. In Sachsen gilt die Regelung, dass der Ausschuss die Immunität nur einstimmig aufheben kann. Daher muss das Plenum am nächsten Mittwoch eine Entscheidung treffen. LINKE, SPD und Grüne haben im Ausschuss dagegen gestimmt. Jetzt ist auch jeder einzelne Abgeordnete von CDU und FDP gefordert. Es geht hier um ein politisches Signal, und es wäre verheerend, wenn die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit den Nazis die Immunität des Vorsitzenden der zweitstärksten Fraktion aufheben würden.

Das Bündnis »Dresden nazifrei« schrieb gestern: »Nach geltendem Recht fragt in Sachsen nach dem Datenskandal anscheinend keiner mehr.« Zu pessimistisch?
Ich würde nicht so weit gehen, dass keiner mehr danach fragt. Aber es ist ein Skandal, wenn ein Datenschutzbeauftragter massive Verstöße gegen Recht und Gesetz, gegen Datenschutz, gegen das Versammlungsrecht, gegen Grundrechte feststellt, und die Regierung macht ungeniert weiter wie bisher. Das höchst bedenklich. Deshalb ist es wirklich Zeit, die CDU 2014 endlich in die Opposition zu schicken. Die Verkrustungen, die wir in Sachsen haben, liegen daran, dass eine Partei seit 1990 ununterbrochen an der Macht ist.

Fragen Jörg Meyer

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