nd-aktuell.de / 11.10.2011 / Kultur / Seite 37

Alltagsmühle

FRAUENGESCHICHTEN

Rosi Blaschke

Diese Frauengeschichten sind Geschichten, die das Leben schrieb. Unverkennbar trägt das Geschriebene autobiografische Züge. Irene, genannt Reni, deren Lebensbeschreibung die Klammer für die einzelnen Frauengeschichten bildet, das könnte die Autorin Ursula Wessel sein. Reni, 1930 geboren, lebte in der DDR, stand 1956 plötzlich mit zwei kleinen Töchtern allein da – ihr Mann Richard, erst 28 Jahre alt, starb plötzlich. Sie musste ihr Leben »neu ordnen – es half ja nichts«. Sie wurde Journalistin, fand einen neuen Schutzengel zum Leben. »Die kleinen Mädchen wurden zwei wunderschöne selbstbewusste Frauen.«

Und Reni/Ursula spürte den Frauen in ihrer Familie nach, fasste Erfahrenes und Erinnerungen an sie in Worte. Es entstanden Lebensbilder aus mehr als einem Jahrhundert. Großmutter Anna zum Beispiel, deren Mann auch früh starb, stand allein mit sechs Kindern da, ihre drei Söhne wurden ihr von den zwei Weltkriegen geraubt. Oder Großmutter Emma, die die Erniedrigung einer ledigen Mutter, die Schande eines unehelichen Kindes ertragen musste, und die ihr Leben selbst beendete, als sie es nicht mehr schaffte. Renis Mutter Berta starb still mit 92 Jahren. Sie erlebte die Repressionen durch die Nazis, weil die Familie als »Judenfreunde« abgestempelt war. Es geht um mehrere Tanten, deren eine auch die »Schande der Unmoral« über sich ergehen lassen musste, deren andere ausgebombt wurde und alles verlor und deren dritte mit sieben Kindern von ihrem Mann schnöde verlassen wurde ...

Immer traten Krieg und Sterben in das Leben der Frauen, und zu allermeist lastete auf ihnen die Mühsal des Alltags, das Sorgen um das tägliche Brot und das Hemd auf dem Leib. Beeindruckend, dass doch alle Frauen einen Beruf erlernten, obwohl sie aus den sogenannten einfachen Kreisen stammten. Sie wurden Weißnäherin, Schneiderin, Stenotypistin, Serviererin, Modistin ... Ging es anfangs vor allem darum, dass in den großen Familien ein Esser weniger war, so sicherte später die Arbeit das Überleben. Damit sie immer wieder »in die Reihe« kamen, wie Tante Erna sagte. Tante Emmy war die einzige, der »die Strapazen des Berufslebens« erspart blieben. »War diese Frau wirklich zu beneiden?«, fragt Ursula Wessel.

Die Autorin bedient sich einer lakonischen Sprache. Sie ist authentisch und wahrhaftig. Man spürt: Aus solchen Menschengeschichten – millionenfach – entsteht Weltgeschichte.

Ursula Wessel: Reine Frauensache. Frieling-Verlag. 125 S., br., 9,90 €