Zahlenfetischismus

FAKTENcheck: Zunehmende Internetsucht?

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Zahlreiche Medien schlugen Ende September Alarm: Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland sei internetsüchtig, weitere 2,5 Millionen suchtgefährdet. Am stärksten betroffen seien Jugendliche, Tendenz steigend. Die Zahl der Webjunkies hat demnach bereits die Zahl der Canabisabhängigen erreicht. Ist das Internet also gesundheitsgefährdend?

Wissenschaftler meldeten rasch Zweifel an der Aussagekraft und am Wahrheitsgehalt der Zahlen an, die durch eine Telefonumfrage im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums ermittelt wurden. So meinte die Statistikerin Katharina Schüller gegenüber dem NDR-Medienmagazin »zapp«, frührere Untersuchungen hätten eine viel höhrere Zahl an Süchtigen ergeben. »Insofern ist es sehr beruhigend, aus dieser Studie zu hören, dass es so wenige sind.« Und auch die Zahl von 560 000 Interntetsüchtigen ist laut »zapp« höchst fragwürdig. Die Studie fragte nach der Zeit, die man täglich online verbringt. Wer angab, länger als vier Stunden täglich im Internet zu verbringen, wurde als abhängig eingeordnet. Die Forscher stuften schließlich ein Prozent der Befragten als »wahrscheinlich internetabhängig« ein. Die Zahl 560 000 ist nach Angaben des NDR-Medienmagazins in der Studie nirgends zu finden. Sie taucht erst in der Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums auf.

Im Ministerium hat man offensichtlich genau verstanden, dass Journalisten Zahlenfetischisten sind. Je größer die Zahl, je alarmistischer die Pressemitteilung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Medien ein Thema aufgreifen.

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