Die Versuchung

Klaus Süß – der Holzschnittkünstler in Berlin

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Versuchung« heißen Holzschnitte, die Klaus Süß in diesem Jahr geschaffen hat. Und der Titel der Blätter (etwa A 5-Format), auf denen erotische Paarszenen das Thema vorgeben, passt zum Grad des Begehrens beim Betrachter der Kunstwerke: Der ist versucht, sie wieder und wieder in Augenschein zu nehmen. Ja, er kann sich an den Bildern nicht sattsehen, meisterhaft komponiert, farblich ungemein attraktiv und malerisch wirkend, wie sie sind. Sie präsentieren in atemberaubenden Fläche-Linie-Kontrasten überraschende Formfindungen. Geradezu magisch die Anziehungskraft der Grafiken, in denen tiefe Geheimnisse zu wohnen scheinen. Und die Versuchung, die Blätter zu erwerben, um die Empfindungen, die sie auslösen, stets aufs Neue zu befragen, die lauert hier nicht, sie ist allemal präsent.

Wolfgang Grätz von der Büchergilde Gutenberg in Frankfurt am Main hat den Künstler auf der Buchmesse mit einem Ausschnitt aus dessen umfangreichem Werk an grafischen Mappen und aufwendigen Künstlerbüchern, handgeschrieben und handgemalt, präsentiert. Klaus Süß ist, wie der erfahrene, sorgsame, ganz und gar der ehrlichen Arbeit mit den Künstlern verschriebene Gute-Kunst-Mensch notierte, »anerkannter Meister des Farbholzschnitts«. Dabei setzt der Autodidakt die Technik der verlorenen Form - Krone der Druckgrafik - ein, experimentiert mit deren Möglichkeiten. Findet radikale Lösungen mit intensiver Wirkung.

Überdies: Die benutzen Druckstöcke, denen keine neuen Abzüge mehr entlockbar sind, werden selbst zu plastischen Objekten. Werden zu farbig gefassten Körpern, komprimiert-kraftvoll, kantig und konzentriert. Oder aber, und das ist außergewöhnlich, Klaus Süß hintermalt die Blätter partiell, so dass sich eine Milchigkeit der Schauseite einstellt, wie sie wohl - im übertragenen Sinne - für Weltwahrnehmung typisch ist. Hier wird nicht allein das Dargestellte - konsequent noch immer konturenscharf, zackig zeichenhaft und rabiat raumweitend -, sondern bereits das Handwerkliche zur Metapher.

Präzision im Technischen und Virtuosität in der Gestaltwerdung von dramatischer Fantasie sind das Markenzeichen des aus dem Erzgebirge stammenden, eben 60 gewordenen Künstlers. Dass in seiner Heimatstadt Chemnitz, der Hauptstadt des Expressionismus, 300 Gäste zur Eröffnung einer Werkschau im Kulturzentrum »Kieselstein« erschienen, neueröffnet mit eben seiner Geburtstagsausstellung, ist nicht hoch genug wertzuschätzen und ist doch nur ein kleiner Teil der Anerkennung, die das in kaum mehr als zwei Jahrzehnten entstandene, vielgestaltige Werk erfährt. Zu dem gehören auch Zeichnung, insbesondere zauberhafte aquarellierte Feder, Malerei, Skulptur, Keramik, Fotografie und - das wäre ein besonderes Kapitel - Unikatbücher, eins auf der Leipziger und Frankfurter Buchmesse als schönstes Buch ausgezeichnet und in den Chemnitzer Kunstsammlungen vorgestellt.

Süß? Grundthema ist die Auseinandersetzung mit Macht in all ihren Formen. Es wird dynamisch spannungsvoll umgesetzt wie beruhigt verdichtet. So wird auch in einem der schönsten Holzschnitt-Mappenwerke - »Bühnenbilder« - nichts weniger als das bühnenreife Drama, das man Leben nennt, abgehandelt, auf sechs Blättern, der Zahl der Schöpfungstage angemessen. Auch sie sind derzeit in Berlin, in der Galerie Sophien-Edition, zu sehen und werden wohl schnell neue Liebhaber finden. Wer selbst ein Suchender ist, braucht einen Versucher wie Klaus Süß.

Galerie Sophien-Edition, Sophienstraße 24, Berlin: Klaus Süß - Zum 60. Geburtstag. Bis 19. November, Mi-Sa 13-18 Uhr und nach Vereinbarung.

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